Das Urteil des Landgericht München I vom 11. November 2025 (Az. 42 O 14139/24 nachfolgend kurz „das Urteil“) in dem Rechtsstreit der Verwertungsgesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (kurz „GEMA“) gegen das US-amerikanische Softwareunternehmen Open AI, Inc. (nachfolgend kurz „Open AI“) ist in aller Munde. Und zwar nicht nur – wie sonst so häufig – im Mund des juristischen Fachpublikum, sondern auch in dem der allgemeinen Presse und Öffentlichkeit. Dies ist der besonderen Brisanz des Urteils für Kreativ- und Kulturschaffende und den europäischen Wirtschaftsstandort, insbesondere für internationale Tech-Unternehmen, geschuldet.
Es handelt sich um das zweite Urteil eines deutschen Gerichts, das sich mit der (urheber-)rechtlichen Handhabe von generativer künstlicher Intelligenz (nachfolgend kurz „KI“) befasst und erste Leitlinien zur Zulässigkeit der Verwendung urheberrechtlich geschützter Daten in KI-Modellen und -Systemen formuliert.
Das erste „KI-Urteil“, erlassen vom Landgerichts Hamburg am 27. September 2024 (Az. 310 O 227/23), befasste sich mit der Erstellung von KI-Datensätzen (erste Phase). Der Fokus lag damit auf der „Vorbereitungsphase“ der KI-Nutzung. Das Landgericht Hamburg hat in dem Urteil entschieden, dass die mit der Datensatzerstellung einhergehende Vervielfältigung der urheberrechtlich geschützten Daten nach Maßgabe von §§ 60d, 44b UrhG (sog. Schranken zum Text- und Datamining-Schranke, kurz „TDM“) grundsätzlich zulässig sein könne. Für Einzelheiten verweisen wir auf die Urteilsbesprechung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Kläger hat Berufung zum Oberlandesgericht Hamburg eingelegt.
Das jüngste „KI-Urteil“ des Landgerichts München I betrifft nun die eigentliche Trainingsphase des neuronalen Netzes mit den Datensätzen (zweite Phase) sowie die anschließende Nutzung der trainierten KI (dritte Phase).
In dem Urteil hat das Landgericht München I der Klage der GEMA gegen OpenAI überwiegend stattgegeben und die Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz wegen der unzulässigen Verwertung von neun Liedtexten bekannter deutscher Urheber*innen (darunter „Atemlos“ von Kristina „Bach“ und „Wie schön, dass du geboren bist“ von Rolf Zuckowski) in dem KI-Modell wie auch durch die Wiedergabe der Liedtexte im Output des Chatbots bejaht.
Ausgangspunkt des Urteils bildet die Überzeugung der 42. Zivilkammer des Landgerichts München I, dass die streitgegenständlichen Liedtexte reproduzierbar in den Sprachmodellen von OpenAI enthalten sind. Dies bedeutet nach Auffassung des Gerichts, dass nicht lediglich Metadaten oder statistische Parameter extrahiert und verarbeitet wurden, sondern dass der gesamte Trainingsdatensatz – einschließlich der geschützten Liedtexte – im Modell memorisiert wurde. In der informationstechnischen Forschung wird dieses Phänomen als Memorisierung bezeichnet (vgl. Rn. 169 ff. des Urteils).
Das Landgericht München I gelangte zu der Überzeugung einer solchen Memorisierung durch einen Abgleich zwischen den im Trainingsmaterial enthaltenen Liedtexten und dem generierten Output des Modells. Da beide übereinstimmten und angesichts der Komplexität und Länge der Texte ein zufälliges Zutreffen ausgeschlossen wurde, nahm das Gericht eine gezielte Wiedergabe urheberrechtlich geschützter Inhalte an. Damit formuliert das Landgericht München I eine für die urheberrechtliche Bewertung generativer KI-Modell wesentliche Vermutungsregel: Wenn ein KI-Modell komplexe urheberrechtlich geschützte Inhalte reproduzierbar wiedergibt, kann mangels naheliegender Zufallserklärung von einer Memorierung ausgegangen werden (vgl. Rn. 176 des Urteils).
Diese Vermutung könnte dazu beitragen, die bei generativer KI typischen Beweisschwierigkeiten zu überwinden – insbesondere hinsichtlich der Fragen, ob, welche und in welcher Form (als bloße Metadaten oder als tatsächlich gespeicherte Inhalte) Trainingsdaten in einem KI-Modell gespeichert wurden. Den rechtlichen Rahmen dieser Vermutung leitet das Landgericht München I einerseits aus den in der informationstechnischen Forschung beschriebenen technischen Möglichkeiten und andererseits aus dem ohne Weiteres überprüfbaren Modell-Output ab. Letzterer wird als maßgeblicher Indikator für die Reproduzierbarkeit der im Trainingsdatensatz enthaltenen Inhalte herangezogen.
Das Landgericht München I nimmt, ausgehend von der vollständigen Memorisierung, die eine Verkörperung der urheberrechtlichen Sprachwerke geschützten Liedtexte darstellt, eine Vervielfältigung im Rahmen des Trainingsprozesses an (vgl. Rn. 176 ff. des Urteils).
Zunächst betont es, dass die Festlegung lediglich in Form von Wahrscheinlichkeitsparametern unerheblich sei (vgl. Rn. 182 ff. des Urteils). Neue Technologien wie Sprachmodelle seien vom Vervielfältigungsrecht nach Art. 2 InfoSoc-RL und § 16 UrhG erfasst. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei für die Vervielfältigung eine mittelbare Wahrnehmbarkeit ausreichend, die gegeben sei, wenn das Werk – wie hier – unter Einsatz technischer Hilfsmittel wahrgenommen werden könne.
Das Landgericht München I entschied weiter, dass diese Vervielfältigung in den KI-Modellen weder durch die TDM-Schrankenbestimmungen des § 44b UrhG noch durch § 57 UrhG als unwesentliches Beiwerk gedeckt sei.
Zwar unterfielen Sprachmodelle grundsätzlich dem Anwendungsbereich der TDM-Schranken, sofern die jeweilige Vervielfältigung lediglich Analysezwecken diene und damit die Verwertungsinteressen der Rechteinhaber am Werk nicht beeinträchtigt würden (vgl. Rn. 204 ff. des Urteils). Eine solche Konstellation liege hier aber gerade nicht vor, weil die Sprachmodelle von Open AI nicht nur Informationen aus Trainingsdaten extrahierten, sondern auch vollständige Werke vervielfältigen. Das Output trete demnach in unmittelbare Konkurrenz zu den Originalwerken– vorliegend also den Liedtexten – und beeinträchtige die Werkverwertung damit nachhaltig. In der Folge, so das Landgericht München I, würden die berechtigten Interessen der Rechteinhaber verletzt und § 44b UrhG sei nicht einschlägig.
Eine ausnahmsweise Privilegierung nach § 57 UrhG scheide mangels Vorliegens eines Hauptwerks aus (vgl. Rn. 214 f. des Urteils).
Zusammenfassend liegt nach Ansicht des Landgerichts München I somit eine Verletzung des Vervielfältigungsrechts an den Liedtexten nach § 16 UrhG vor.
Das Urteil widmet sich neben der zweiten Phase, dem Training des KI-Modells mit Datensätzen, der Frage, ob auch das Output des Chatbots eine Rechtsverletzung begründet (dritte Phase). Dies bejaht das Landgericht München I. Wegen der Wiedererkennbarkeit der streitgegenständlichen Liedtexte in den Outputs liege eine Vervielfältigung nach § 16 UrhG und eine öffentliche Zugänglichmachung nach § 19a UrhG vor (Rn. 230 ff. des Urteils).
Für eine öffentliche Zugänglichmachung genüge es, wenn ein Werk einer Öffentlichkeit in der Weise zugänglich gemacht wird, dass deren Mitglieder dazu Zugang haben, ohne dass es darauf ankommt, ob sie diese Möglichkeit nutzen oder nicht (vgl. Rn. 259 ff. des Urteils). Diese Voraussetzung sei vorliegend erfüllt, weil Open AI als Betreiber des Sprachmodells und Chatbots den Nutzern den Zugriff ermögliche auf die streitgegenständlichen Liedtexte, die in den Modellen memorisiert sind. Diese mittelbare Wiedergabehandlung erfolgte auch öffentlich, weil der Chatbot grundsätzlich von jeder Person genutzt werden könne, die über einen Internetzugang und ein internetfähiges Endgerät verfüge. Damit seien die Voraussetzungen von § 19a UrhG erfüllt.
In diesem Zusammenhang betont das Landgericht München I die täterschaftliche Verantwortlichkeit von Open AI als Betreiberin des Sprachmodells und des Chatbots für das Output (vgl. Rn. 275 des Urteils). Open AI habe die Trainingsdaten ausgewählt, die Architektur der KI-Modelle erschaffen und sei für die Memorisierung der Trainingsdaten verantwortlich. Aus alldem folge eine wesentliche Beeinflussung der von den betriebenen Sprachmodells ausgegebenen Outputs. Mit dieser Entscheidung erteilt das Landgericht München I der gegenteiligen Ansicht von Open AI eine Absage, wonach der Nutzer des Chatbots durch die Eingabe des Prompts das Output eigenständig generiere und infolgedessen alleiniger Verantwortlicher sei.
Schließlich sind die generierten Outputs nach Ansicht des Landgerichts München I auch von keiner Schrankenbestimmung nach §§ 44b, 51, 51a, 53 Abs. 1 UrhG gedeckt.
Das Urteil des Landgerichts München I ist noch nicht rechtskräftig. Angesichts der Brisanz des Themas „Künstliche Intelligenz“ und der teils diametral entgegengesetzten Interessen der Rechtsinhaber einerseits und der Betreiber von KI-Modellen andererseits ist zu erwarten, dass die zahlreichen Rechtsfragen zu §§ 16, 19a, 44b und 57 UrhG sowie die damit verknüpfte Funktionsweise von KI-Modellen in weiteren Instanzen – möglicherweise sogar bis zum EuGH – vertieft diskutiert werden.
Bereits jetzt ist jedoch hervorzuheben, dass das Landgericht München I mit seinem Urteil wichtige Leitlinien formuliert hat, die zur Minimierung bestehender Rechtsunsicherheiten beitragen können. Das Gericht stärkt die Position von Urhebern und Rechteinhabern, ohne die technischen Besonderheiten neuronaler Netzwerke zu verkennen, insbesondere die Tatsache, dass solche Systeme nicht zwangsläufig vollständige Werke memorieren. Insofern erscheinen die Ausführungen zur Nichtanwendbarkeit von § 44b UrhG durchaus vereinbar mit den zuvor im Obiter Dictum des Landgerichts Hamburg dargelegten Anforderungen an die TDM-Schranke (vgl. Rn. 65 ff. des Urteils vom 27. September 2025). Auch das Landgericht Hamburg stellte klar, dass Text- und Datamining zu Analysezwecken innerhalb der Grenzen des § 44b UrhG zulässig sein dürfte.
Damit besteht am Standort Europa weiterhin Spielraum für das Training und die Weiterentwicklung von KI- und Softwareanwendungen. Zu beachten ist jedoch, dass die entscheidende Grenze dort verläuft, wo Trainingsdatensätze in einer Weise übernommen werden, dass das generierte Output in unmittelbare Konkurrenz zum Originalwerk tritt und dadurch die berechtigten Interessen der Rechteinhaber beeinträchtigt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie die deutschen und europäischen Gerichte die offenen Fragen künftig behandeln werden. Bereits im Jahr 2026 ist mit einer Fortsetzung der Rechtsprechung des Landgerichts München I zu rechnen – insbesondere mit einem Urteil im Parallelverfahren, in dem die GEMA die KI-Modellbetreiberin Suno, Inc. verklagt hat.