Der Generalanwalt Maciej Szpunar hat am 8. Mai 2025 in den verbundenen Rechtssachen C‑580/23 und C‑795/23 („USM ./. konektra“ und „Mio ./. Asplund“) die lange erwarteten Schlussanträge veröffentlicht. In beiden Verfahren geht es um die Grundsätze der Harmonisierung des Urheberrechts in Europa. Sowohl der Bundesgerichtshof, als auch der Schwedische Hofrat (Berufungsgericht) hatten dem EuGH verschiedene Fragen vorgelegt, die einerseits das Verhältnis des Geschmacksmusterrechts zum Urheberrecht, andererseits einzelne Fragen zum Werkbegriff im Urheberrecht zum Gegenstand hatten.
Die Stellungnahme des Generalanwalts gibt überwiegend Antworten, die nach dem deutschen Urheberrecht vertraut wirken.
Verhältnis zwischen Urheberrecht und Geschmacksmusterrecht
Im Unionsrecht besteht kein Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem urheberrechtlichen und dem designrechtlichen Schutz. Die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Werken der angewandten Kunst unterliegt denselben Originalitätsanforderungen wie andere Werkarten. Ein erhöhter Prüfmaßstab besteht nicht.
Der Generalanwalt weist darauf hin, dass die Schutzsysteme unterschiedlichen Zielsetzungen und Voraussetzungen folgen. Die Kumulierung beider Schutzrechte ist möglich, aber kein Automatismus; Originalität im Urheberrecht ist subjektiv (Ausdruck der Persönlichkeit), während das Geschmacksmusterrecht objektiv (Neuheit, Eigenart) ansetzt.
Kriterien der Originalität
können als Indizien berücksichtigt werden, sind aber weder hinreichend noch erforderlich für die Feststellung von Originalität.
Die Originalität ergibt sich ausschließlich aus der im Werk erkennbaren schöpferischen Leistung. Die Rechtsprechung des EuGH betont die Erkennbarkeit des urheberrechtlich geschützten Ausdrucks, nicht bloß der Idee. Die Persönlichkeit des Urhebers muss im Werk selbst erkennbar werden.
Maßstab der Schutzrechtsverletzung
Die Ausführungen des Generalanwalts zur Frage der Verletzung entsprechen nicht unbedingt der nationalen Rechtsprechung. Allerdings kann es sich dabei auch lediglich um methodische oder terminologische Unterschiede handeln, die nicht zu anderen Ergebnissen führen müssen. In der deutschen Rechtsprechung besitzen urheberrechtliche Werke durchaus einen unterschiedlichen Schutzumfang. Die Größe des Schutzumfangs hängt dabei maßgeblich auch von ihrer Originalität ab. Das Maß der Originalität wird dabei natürlich auch vom Zeitpunkt der Schöpfung und davon bestimmt, was bereits an vorbekanntem Formenschatz vorhanden war. Zwar ist der vorbekannte Formenschatz kein unmittelbar urheberrechtliches Kriterium. Doch eignet sich ein Blick auf diesen zur Feststellung der Originalität und damit des Schutzumfangs eines Werkes.
Demgegenüber geht der Generalanwalt wohl von einem anderen Konzept aus, wobei die Herangehensweise sich möglicherweise nur methodisch unterscheidet. Nach den Schlussanträgen ist auf die kreativen Elemente abzustellen, die sich in dem Werk finden. Wenn diese, die Originalität begründenden Elemente wiedererkennbar übernommen sind, liege eine Verletzung vor. Der Grad der Originalität soll daher den Schutzumfang nicht mitbestimmen. Die Stellungnahme lässt sich daher wie folgt zusammenfassen:
Im Urheberrecht wird nicht der Gesamteindruck geschützt, sondern es verhindert die Übernahme individuell-kreativer Ausdrucksformen. Eine Verletzung kann bereits bei der Reproduktion einzelner origineller Elemente vorliegen. Anders als im Designrecht ist die Schutzintensität nicht durch den Gestaltungsfreiraum abgestuft.
Ob und inwieweit der EuGH diesem methodischen Ansatz des Generalanwalts folgen wird, bleibt abzuwarten. Die Vorlage hat aber jedenfalls das Potential, das Urheberrecht nachhaltig zu prägen.
Ausblick
Die Harmonisierung des Urheberrechts im Binnenmarkt erfordert eine einheitliche Auslegung des Werkbegriffs unabhängig vom nationalen Designverständnis. Unterschiede in der Beurteilung ikonischer Gestaltungen wie der „Birkin“-Tasche oder Birkenstock-Sandalen dürfen im Unionsrecht nicht bestehen, auch wenn gewisse subjektive Unterschiede immer möglich sind.
Der Generalanwalt plädiert für Kohärenz in der Rechtsprechung und betont, dass das Ziel der Richtlinie 2001/29/EG auch darin besteht, unionsweit gleiche Schutzstandards für originelle Werke zu gewährleisten – auch bei Werken der angewandten Kunst.