Über die Modernisierung des deutschen Patentrechts hatten wir bereits im Newsletter aus März 2020 berichtet. Das offizielle Ziel des Gesetzes ist eine Vereinfachung und Modernisierung sowohl des Patentgesetzes als auch anderer Gesetze im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes. Insbesondere im Patent- und Gebrauchsmusterrecht erfolgen Klarstellungen im Hinblick auf den Unterlassungsanspruch. Weiterhin werden Vorschriften zu den Patentverletzungsverfahren vor den Zivilgerichten einerseits und den Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht (BPatG) andererseits optimiert und besser synchronisiert. Der Schutz vertraulicher Informationen u.a. in Patent- und Gebrauchsmusterstreitsachen wird verbessert. Schließlich werden die Verfahrensabläufe beim Deutschen Patent- und Markenamt praxisgerechter ausgestaltet, wodurch eine Reduzierung des bürokratischen Aufwands auf Seiten der Anmelder erreicht werden soll.
Inoffiziell handelt es sich beim Patentrechtsmodernisierungsgesetz um das Ergebnis umfangreicher Lobbyarbeit insbesondere der Telekommunikations- und Automobilbranchen, um die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs in bestimmten Fällen abzumildern und zugleich den im deutschen Patentsystem bestehenden „Injunction Gap“ zu verringern. Dementsprechend liegt der Fokus auch auf der nunmehr ausdrücklich ins Patentgesetz eingebrachten Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Unterlassungsanspruch und der Einführung einer (weichen) Sechs-Monats-Frist für die vorläufige Stellungnahme des BPatG in Nichtigkeitsverfahren.
Der Unterlassungsanspruch in § 139 Abs. 1 PatG wird nach der Patentreform wie folgt lauten (Fettdruck = neu):
„Wer entgegen den §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt, kann von dem Verletzten bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht. Der Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Inanspruchnahme aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Gebote von Treu und Glauben für den Verletzer oder Dritte zu einer unverhältnismäßigen, durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigten Härte führen würde. In diesem Fall ist dem Verletzten ein angemessener Ausgleich in Geld zu gewähren. Der Schadensersatzanspruch nach Absatz 2 bleibt hiervon unberührt.“
Eine gleichlautende Änderung wird auch im Gebrauchsmustergesetz eingeführt.
Durch die Ergänzung wird nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit eines Ausschlusses des Unterlassungsanspruchs normiert, wenn dies für den Verletzer selbst oder für Dritte zu einer ungerechtfertigten Härte führt. Greift dieser Ausschluss durch, ist vom Verletzer zusätzlich zum ggf. rückwärtsgewandten Schadensersatz eine in die Zukunft gerichtete angemessene Entschädigung zu leisten. Die Höhe einer solchen Entschädigung wird sich laut der Gesetzesbegründung zunächst an einer marktüblichen Lizenz richten. Es besteht aber die Möglichkeit einer Verringerung oder Erhöhung der Entschädigung, z.B. abhängig vom Status des Patents und dem Verschulden des Verletzers.
Sowohl in der Gesetzesbegründung als auch bereits von den Gerichten wird betont, dass es sich bei dieser Beschränkung des Unterlassungsanspruchs um eine absolute Ausnahme handeln soll. Und auch wenn in nächster Zeit sicherlich in vielen Patentstreitverfahren die Beklagten vortragen werden, dass eine Verurteilung zur Unterlassung in ihrem Fall unverhältnismäßig ist, werden die Gerichte sehr zurückhaltend reagieren. Die Möglichkeit einer Beschränkung des Unterlassungsanspruchs im Rahmen einer – ungeschriebenen – Verhältnismäßigkeitsprüfung existierte schon seit jeher. Dennoch gab es bisher keine wesentliche Aufweichung des Unterlassungsanspruchs. Häufig wird in diesem Zusammenhang die Wärmetauscher-Entscheidung des BGH (Urteil vom 10.05.2016, Az. X ZR 114/13) genannt, in der die Richter über eine Aufbrauchsfrist für den Verletzer nachgedacht, sie jedoch letztendlich abgelehnt haben.
Damit in einzelnen Fällen aus Beklagtensicht tatsächlich die Chance einer Beschränkung des Unterlassungsanspruchs besteht, wird es jedenfalls nicht ausreichen, allgemein zu behaupten, dass ein Produktions- bzw. Lieferstopp eine ungerechtfertigte Härte darstellt. Dies gilt umso mehr, wenn der Patentinhaber zur Vergabe einer Lizenz bereit ist. Der Beklagte wird die Behauptung einer Unverhältnismäßigkeit stattdessen ausreichend mit Zahlen und Daten unterfüttern müssen, z.B. mit Geschäftszahlen zum angegriffenen Produkt und zu seinem Unternehmen insgesamt (etwa bei einer existenziellen Bedrohung durch eine Unterlassungspflicht). Möglicherweise spielt die Frage der Unverhältnismäßigkeit auch eine Rolle bei einem geringen Wert der patentverletzenden, aber dennoch funktionswesentlichen Komponente in einem komplexen Produkt und der damit verbundenen hohen Verluste bei einem Lieferstopp. Relevant werden könnte der Ausschluss des Unterlassungsanspruchs auch im Bereich der Grundversorgung der Öffentlichkeit sowie in der Pharmazie und Medizintechnik, etwa bei einer Patientengefährdung durch einen Lieferstopp, wenn nicht ausreichend Alternativprodukte auf dem Markt vorhanden sind.
Allenthalben wird die lange Verfahrensdauer bei Patentnichtigkeitsverfahren (ca. 24 bis 26 Monate in der 1. Instanz beim BPatG) kritisiert. Dies insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass die Zivilgerichte das Verletzungsverfahren erstinstanzlich meist innerhalb von knapp ein bis eineinhalb Jahren abschließen. Um den dadurch entstehenden „Injunction Gap“ und damit den Druck auf den Beklagten zu verringern, soll durch gesetzgeberische Maßnahmen eine Verkürzung des Nichtigkeitsverfahrens erreicht werden. Das Patentrechtsmodernisierungsgesetz sieht vor, dass eine beim BPatG eingegangene Nichtigkeitsklage dem Patentinhaber rascher zugestellt wird und der Patentinhaber auf die Klage innerhalb von zwei, max. drei Monaten inhaltlich erwidern muss. Innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Klage soll vom BPatG der qualifizierte Hinweis ergehen, in dem das Gericht eine vorläufige Stellungnahme zu seiner Sicht auf den Rechtsbestand des angegriffenen Patents abgibt.
Ziel dieser Verfahrensstraffung ist es, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung beim Verletzungsgericht ein Dokument vorliegt, in dem sich ein technischer Richter beim BPatG zumindest einmal vorläufig mit dem Rechtsbestand des Klagepatents beschäftigt hat. Es ist abzusehen, dass der qualifizierte Hinweis eine große Rolle bei der Aussetzungsentscheidung im Verletzungsverfahren spielen wird, da es sich häufig um die einzige neutrale Beurteilung des Rechtsbestands des Klagepatents handelt. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Sechs-Monats-Frist (die nur als „Soll“-Vorschrift eingeführt wird, d.h. nicht zwingend ist) in der Rechtspraxis überhaupt eingehalten werden kann. Schon länger wird der Personalmangel beim BPatG kritisiert, und dieses Defizit lässt sich nicht durch eine neu eingeführte Frist kompensieren. Vor diesem Hintergrund bleibt auch abzuwarten, welche Qualität die innerhalb der Frist (und damit relativ rasch) erstellten qualifizierten Hinweise haben werden.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die im ursprünglichen Gesetzesentwurf vorgesehene Möglichkeit, im Falle eines Verletzungsverfahrens trotz laufender Einspruchsfrist schon frühzeitig eine Nichtigkeitsklage erheben zu können, nicht umgesetzt wurde.
Es wird ein neuer § 145a PatG eingeführt, der wie folgt lautet:
„In Patentstreitsachen mit Ausnahme von selbstständigen Beweisverfahren sowie in Zwangslizenzverfahren gemäß § 81 Absatz 1 Satz 1 sind die §§ 16 bis 20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom 18. April 2019 (BGBl. I S. 466) entsprechend anzuwenden. Als streitgegenständliche Informationen im Sinne des § 16 Absatz 1 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen gelten sämtliche von Kläger und Beklagtem in das Verfahren eingeführten Informationen.“
Eine inhaltsgleiche Norm wird auch als § 26a GebrMG eingeführt.
Hierdurch soll es den Gerichten erleichtert werden, Maßnahmen zur Erhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen in Patentverletzungsverfahren zu treffen. Auf diese Weise können die Gerichte beispielsweise das Recht zur Akteneinsicht einschränken, die Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen ausschließen oder den Zugang zu bestimmten Dokumenten auf eine bestimmte Anzahl von zuverlässigen Personen zu beschränken. Damit kommt der Gesetzgeber dem in der Praxis bestehenden Verlangen nach, im Rahmen von Patentstreitverfahren offengelegte Informationen besser zu schützen (beispielsweise die Frage, wie ein Beklagter ein Herstellungsverfahren durchführt, wenn es denn nicht patentgemäß erfolgt).
Erst im finalen Gesetzesentwurf ist noch der zweite Satz des neuen § 145a PatG hinzugefügt worden, wonach sämtliche ins Verfahren eingeführten Informationen als Geschäftsgeheimnisse eingestuft werden können. Dies soll klarstellen, dass nicht nur technische Informationen zur Verletzungsfrage, sondern auch alle anderen Informationen ein Geschäftsgeheimnis darstellen können.
Die in § 145a PatG vorgesehenen Ausnahmen für das selbstständige Beweisverfahren und das Zwangslizenzverfahren bedeuten im Übrigen nicht, dass es in diesen Verfahren keinen Geheimnisschutz gibt. Insbesondere im praktisch wichtigen selbstständigen Beweisverfahren bleibt es bei der sogenannten „Düsseldorfer Praxis“, wonach der Kläger bzw. Patentinhaber nicht unmittelbar Zugang zu den Informationen erhält, die im Rahmen der Besichtigung beim Beklagten gesammelt wurden.