Beide Rechtsmittelverfahren zielten darauf ab, die Urteile des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom 5. Februar 2018 aufzuheben, mit denen der EuG die Klagen auf Nichtigerklärung von zwei Entscheidungen der EMA abgewiesen hat. Die EMA hatte jeweils entschieden, einem Dritten gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) Zugang zu Dokumenten zu gewähren, die in dem eingereichten Dossier eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels enthalten waren – zum einen ein klinischer Studienbericht, zum anderen Toxizitätsstudien.
Keiner der von den Antragsteller zahlreich vorgebrachten Gründe für ihr Rechtsmittel war erfolgreich. Die wichtigsten waren jeweils der erste und der zweite Rechtsmittelgrund, die in beiden Verfahren gleich waren.
Mit dem ersten Rechtsmittelgrund machten die Rechtsmittelführer zunächst geltend, dass der EuG rechtsfehlerhaft nicht festgestellt habe, dass die streitigen Berichte durch eine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit geschützt wären (C-175/18 P, Randnr. 41; C-178/18 P, Randnr. 38). Zweitens trugen die Rechtsmittelführer vor, dass der EuG in dem jeweils angefochtenen Urteil die Kriterien für die Anerkennung einer allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung im vorliegenden Fall fehlerhaft angewandt habe (C-175/18 P, Randnr. 43; C-178/18 P, Randnr. 40).
Der EuGH weist darauf hin, dass Artikel 1 der Verordnung 1049/2001 vorsieht, dass diese Verordnung der Öffentlichkeit ein Recht auf größtmöglichen Zugang zu Dokumenten der EU-Institutionen gewähren soll (C-175/18 P, Randnr. 54; C-178/18 P, Randnr. 51). Da solche Ausnahmen vom Grundsatz des größtmöglichen öffentlichen Zugangs zu Dokumenten abweichen, sind diese eng auszulegen und anzuwenden (C-175/18 P, Randnr. 56; C-178/18 P, Randnr. 53). Ein Organ, eine Einrichtung oder eine sonstige Stelle der EU ist nicht verpflichtet, seine Entscheidung auf eine solche allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit eines Dokuments zu stützen, sondern kann jederzeit eine konkrete Prüfung der vom Antrag auf Zugang abgedeckten Dokumente vornehmen und seine Entscheidung konkret begründen (C-175/18 P, Randnr. 60; C-178/18 P, Randnr. 57).
Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund machten die Rechtsmittelführer geltend, dass der EuG im vorliegenden Fall den Schutz der geschäftlichen Interessen gemäß Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 verkannt habe (Urteile C-175/18 P, Randnr. 69, und C-178/18 P, Randnr. 66).
Hierzu stellt der EuGH Folgendes fest: Soweit ein Unternehmen ein konkretes und vernünftigerweise vorhersehbares Risiko feststellt, dass ein Wettbewerber dieses Unternehmens bestimmte in einem Bericht enthaltene unveröffentlichte Daten, die in der pharmazeutischen Industrie nicht allgemein bekannt sind, in einem oder mehreren Drittländern nutzen könnte, um eine Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlangen und damit in unlauterer Weise von den Arbeiten des betreffenden Unternehmens zu profitieren, könnte dies ein ausreichender Nachweis für eine nachteilige Auswirkung sein, der bei der Entscheidung über den Zugang zu dem Dokument zu berücksichtigen ist (C-175/18 P, Randnr. 81; C-178/18 P, Randnr. 80). Nach Ansicht des EuGH erfordert dies jedoch eine konkrete und ausdrückliche Bezeichnung der kritischen Passagen des Dokuments (C-175/18 P, Randnr. 82; C-178/18 P, Randnr. 81). Außerdem müsste eine Interessenabwägung nur dann vorgenommen werden, wenn eine der Ausnahmen nach Artikel 4 der Verordnung 1049/2001 Anwendung findet. Wenn es offensichtlich ist, dass Dokumente nicht durch eine oder mehrere dieser Ausnahmen geschützt werden müssen, besteht weder die Verpflichtung, das öffentliche Interesse an der Verbreitung des Dokuments zu bestimmen oder zu bewerten, noch eine Abwägung mit dem Interesse des Beschwerdeführers an der Wahrung der Vertraulichkeit des Dokuments (C-175/18 P, Randnr. 86; C-178/18 P, Randnr. 85).
Der EuGH betont ferner, dass ein Organ, eine Einrichtung oder sonstige Stelle der EU, bei dem bzw. der der Zugang zu einem Dokument beantragt wurde, wenn es bzw. sie beschließt, den Antrag aufgrund einer der in Artikel 4 der Verordnung 1049/2001 festgelegten Ausnahmen vom Grundprinzip der Transparenz abzulehnen, grundsätzlich erläutern muss, inwiefern der Zugang zu diesem Dokument das durch diese Ausnahme geschützte Interesse konkret und tatsächlich beeinträchtigen könnte. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Beeinträchtigung muss „bei vernünftiger Betrachtung absehbar und darf nicht rein hypothetisch“ sein (C-175/18 P, Randnr. 94; C-178/18 P, Randnr. 93). Zugegebenermaßen kann die Gefahr des Missbrauchs von Daten, die in einem Dokument enthalten sind, zu dem Zugang beantragt wird, unter bestimmten Umständen die geschäftlichen Interessen eines Unternehmens beeinträchtigen. Die Existenz eines solchen Risikos muss jedoch konkret nachgewiesen werden. Der nicht belegte Hinweis auf ein allgemeines Risiko wurde nicht für ausreichend gehalten (C-175/18 P, Randnr. 96; C-178/18 P, Randnr. 95).
Darüber hinaus erklärt der EuGH, dass es dem Eigentümer des Dokuments obliegt, der EMA vor einer Entscheidung Art, Zweck und Umfang der Daten zu erläutern, deren Offenlegung ihre Geschäftsinteressen beeinträchtigen würde. Dokumente, die später nach der Entscheidung vorgelegt werden, sind irrelevant (C-175/18 P, Randnrn. 109 und 117).
Der EuGH lehnt in seinem PTC-Urteil auch einen Verstoß gegen Artikel 39 des TRIPS-Abkommens ab: Artikel 39(3) des TRIPS-Abkommens habe weder den Zweck noch die Wirkung, den Begriff der kommerziellen Interessen zu definieren (C-175/18 P, Randnr. 114). Darüber hinaus sei das Erfordernis, Beweise für die Anwendung einer Ausnahme nach Artikel 4 der Verordnung 1049/2001 vorzulegen, mit Artikel 39 Absatz 3 des TRIPS-Abkommens vereinbar.
Auf der Grundlage dieser Entscheidungen des EuGH sind die Anforderungen hoch, um erfolgreich geltend machen zu können, dass bestimmte Informationen vertrauliche Geschäftsinformationen gemäß Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung 1049/2001 sind und demgemäß nicht offengelegt werden sollten. Es muss genau dargelegt werden, wie die Offenlegung (von Teilen) dieses Dokuments die durch diese Ausnahme geschützten geschäftlichen Interessen tatsächlich untergraben könnte. Daher ist es von größter Bedeutung, dass Unternehmen, die Dokumente bei europäischen Institutionen oder Behörden einreichen, vor der eigentlichen Einreichung einen soliden Überprüfungsprozess einleiten, um mögliche vertrauliche Geschäftsinformationen zu identifizieren und alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um entweder einen Schutz als IP-Recht zu erhalten oder den Schutz als Geschäftsgeheimnis zu beanspruchen. Andernfalls ist es aufgrund der meist strengen und strikten Zeitvorgaben für die Beantwortung von Anträgen auf Zugang zu Dokumenten durch eine europäische Institution oder Behörde, die sich mit dem Zugang Dritter zu Dokumenten befasst, in jedem Fall ratsam, vorbereitet zu sein und eine Argumentationslinie parat zu haben.