Grundsätzlich tritt eine Erschöpfung der Rechte aus einer Marke nur dann ein, wenn die mit der Marke gekennzeichneten Waren mit der Zustimmung des Inhabers der Marke im Inland, in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht worden sind, Art. 15 UMV n.F., § 24 MarkenG.
Der EuGH hatte kürzlich einen Fall zu entscheiden (EuGH Urt. v. 20.12.2017 – C-291/16 (Schweppes SA/Red Paralela SL ua), bei welchem die für die Erschöpfung erforderliche Zustimmung nicht von dem Inhaber der Klagemarke (der nationalen spanischen Marke „Schweppes“) stammte, sondern von dem Inhaber der nationalen britischen Marke „Schweppes“. Das Urteil des EuGH ist abgedruckt in GRUR 2018, 191.
Bei der Entscheidung des EuGH handelt es sich um ein Vorabentscheidungsersuchen des Handelsgerichts von Barcelona / Spanien. Die Klägerin in dem Verletzungsverfahren vor dem Handelsgericht ist die Schweppes SA, die sich auf die spanische Marke „Schweppes“ stützte. Inhaberin der spanischen Marke „Schweppes“ ist die Orangina Schweppes Holding BV, welche der Klägerin eine ausschließliche Lizenz an der spanischen Marke „Schweppes“ eingeräumt hatte. Die Orangina Schweppes Holding hatte bereits im Jahr 1999 mehrere identische nationale Marken „Schweppes“ in Europa, unter anderem die im Vereinigten Königreich eingetragene Marke, an die Coca-Cola Industries übertragen.
Die Schweppes SA nahm nun einen Parallelimporteur, der Flaschen mit den Zeichen „Schweppes Tonic Water“ im Vereinigten Königreich (Inhaberin der nationalen Marke: Coca-Cola Industries) erwarb und nach Spanien (Inhaberin der spanischen Marke: Orangina Schweppes Holding) einführte und dort vertrieb, wegen Verletzung der nationalen spanischen Marke in Anspruch.
Die Beklagte erhob die Einrede der Erschöpfung des Markenrechts der nationalen spanischen Marke. Da die entsprechenden Vorschriften im nationalen Markenrecht der Mitgliedsstaaten der EU auf die EU-Markenrechts-Richtlinie zurückgehen, legte das Handelsgericht von Barcelona dem EuGH in einem Vorabentscheidungsersuchen die Frage zur Beantwortung vor, ob im konkreten Fall die Erschöpfung der Rechte aus der nationalen Marke im Vereinigten Königreich (Inhaberin: Coca-Cola Industries) auch gegenüber der nationalen spanischen Parallelmarke (Inhaberin: Orangina Schweppes Holding) wirken kann. Der EuGH entschied in dem Verfahren, dass die Erschöpfung dann rechtlich unabhängigen Inhabern paralleler nationaler Marken entgegengehalten werden kann, wenn die jeweiligen Inhaber durch Koordinierung ihrer Markenstrategie bzw. durch Koordinierung ihrer Geschäftspolitik entweder einen einheitlichen Gesamtauftritt und ein einheitliches Gesamterscheinungsbild der Marke fördern oder gemeinsam bestimmen, auf welchen Waren die Marke angebracht wird.
Da der EuGH in der Entscheidung auch seine bisherige Rechtsprechung zur markenrechtlichen Erschöpfung zusammenfasst, lohnt es sich, anhand der Entscheidung generell die Erschöpfungswirkung bei Auseinanderfallen der Inhaber einzelner nationaler Marken innerhalb der EU zu rekapitulieren:
Ausgangspunkt der Erschöpfung ist die Regelung in Art. 15 Markenrechts-Richtlinie n.F. (RL 2015/2436/EU), welche von den Mitgliedsstaaten der EU in nationales Markenrecht umgesetzt wurde. Gemäß dieser Regelung gewährt eine Marke ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für solche Waren zu untersagen, die von ihm oder mit seiner Zustimmung in der EU bzw. im EWR in Verkehr gebracht wurden. Die Rechte aus einer nationalen Marke (z.B.: nationale deutsche Marke) erschöpfen demnach auch dann, wenn die mit der Marke versehene Ware vom Markeninhaber oder mit seiner Zustimmung erstmalig in einem anderen europäischen Land (z.B.: Österreich) in Verkehr gebracht wurde. Grundsätzlich ist die Erschöpfung der Rechte aus einer nationalen Marke daher nicht an die erstmalige Benutzung in dem entsprechenden Land gebunden.
Die Zustimmung des Markeninhabers zu einem Inverkehrbringen durch einen Dritten liegt insbesondere bei der Erteilung einer Lizenz zur Herstellung und Vertrieb oder auch bei einer reinen Vertriebslizenz vor. Hierbei muss sich die Zustimmung jedoch auch und gerade auf ein Inverkehrbringen im EWR beziehen (Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 24 Rn. 33). Bei einer reinen Auftragsfertigung bzw. einer reinen Fertigungslizenz liegt hingegen regelmäßig keine Zustimmung des Markeninhabers zum (abredewidrigen) Inverkehrbringen durch den Fertiger bzw. Lizenznehmer vor (BGH GRUR 2011, 820 – Kuchenbesteck-Set, Nr. 18).
Wie der EuGH in der vorliegenden Entscheidung zusammenfassend darstellt, steht es dem eigenen Inverkehrbringen durch den Markeninhaber gleich, wenn eine Konzerngesellschaft (Mutter- /Tochter- /Schwesterunternehmen) oder ein sonstig mit ihm wirtschaftlich verbundenes Unternehmen die mit der Marke versehene Ware in einem Mitgliedstaat des EWR erstmalig auf den Markt gebracht hat (ständige Rechtsprechung seit: EuGH GRUR 1994, 614 – Ideal Standard II). Hiermit soll verhindert werden, dass durch geschickte Aufteilung der nationalen Marken innerhalb von Konzerngesellschaften oder wirtschaftlich verbundenen Unternehmen die verschiedenen nationalen Märkte innerhalb der EU durch Zuhilfenahme nationaler Markenrechte gegeneinander abgeschottet und Preisunterschiede aufrechterhalten werden können.
Andererseits verweist der EuGH in seiner Entscheidung darauf, dass die Funktion der Marke als Ausschließlichkeitsrecht gefährdet wäre, wenn sich miteinander rechtlich und wirtschaftlich nicht verbundene Inhaber paralleler nationaler Marken der Einfuhr von mit Marken versehenen Waren nicht widersetzen könnten, lediglich weil Erschöpfung der nationalen Marken eines anderen Inhabers eingetreten ist. Daran ändert nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Tatsache nichts, dass die angebrachte (identische) Marke ursprünglich demselben Inhaber gehörte, unabhängig davon, ob die Aufspaltung der Marken auf einer hoheitlichen Maßnahme (wie Enteignung) oder einer vertraglichen Übertragung beruhte. Der Umstand des gemeinsamen Ursprungs verschiedener nationaler Marken genügt damit für eine Einrede der Erschöpfung nicht (ständige Rechtsprechung seit EuGH GRUR Int. 1990, 960 – HAG GF).
Von dieser Rechtsprechungspraxis macht der EuGH in der vorliegenden Entscheidung vom 20.12.2017 nun eine gewichtige Ausnahme: Unter Umständen kann die Erschöpfung einer – einem rechtlich und wirtschaftlich nicht verbundenen Unternehmen gehörenden – nationalen Marke auch zur Erschöpfung der Rechte aus anderen identischen nationalen Marken eines anderen Unternehmens führen. Die diese Entscheidung begründende Besonderheit des vorliegenden Falls bestand darin, dass die Orangina Schweppes Holding und die Coca-Cola Industries weiterhin gemeinsam ihren Auftritt für die Marke „Schweppes“ innerhalb der EU koordinierten. Ferner legten sie gemeinsam fest, welche Getränke und Waren mit der Marke „Schweppes“ versehen werden und in der EU auf den Markt gebracht werden dürfen. Aus Sicht der Verbraucher war ein Tonic Water mit der Marke „Schweppes“ von Coca-Cola Industries auf den ersten Blick und auch geschmacklich nicht von einem Tonic Water mit der Marke „Schweppes“ von der Orangina Schweppes Holding zu unterscheiden. Der EuGH sah durch diese Abstimmung der verschiedenen Markeninhaber eine der Hauptfunktionen einer Marke, nämlich die Festlegung der Herkunftsfunktion, aufgegeben, da die angesprochenen Verkehrskreise somit bereits durch diese Abstimmung der Markeninhaber selbst über die betriebliche Herkunft der Waren verwirrt würden.
Nach der Folgerung des EuGH kann ein Markeninhaber, der selbst die Herkunftsfunktion seiner Marken beeinträchtigt, jedoch nicht mehr mit dem Argument der Herkunftsverwirrung gegen Dritte wegen der von ihm selbst geschaffenen Lage vorgehen.
Der EuGH bejaht also für solche Waren eine europaweite Erschöpfung der Rechte aller identischen nationalen Marken, selbst wenn diese rechtlich selbstständigen und unabhängigen Markeninhabern gehören, wenn die jeweiligen Inhaber ihre Markenstrategie aktiv und bewusst zu einem einheitlichen Gesamtauftritt bzw. einem einheitlichen Gesamterscheinungsbild der Marke abstimmen oder die jeweiligen Markeninhaber ihre Geschäftspolitik dergestalt koordinieren, dass sie gemeinsam bestimmen, auf welchen Waren die Zeichen angebracht werden.
Zuletzt nahm der EuGH auch noch Stellung zu der Frage, wer die Umstände für die Erweiterung der Erschöpfungswirkung durch die Koordination der verschiedenen Markeninhaber darzulegen und zu beweisen hat.
Grundsätzlich trägt die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erschöpfung derjenige, der sich auf die Erschöpfung beruft. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH besteht von dieser Beweislastverteilung jedoch eine Ausnahme bei Vorliegen von ausschließlichen oder selektiven Vertriebsverträgen, da es die Beweislastverteilung dem Markeninhaber ansonsten ermöglichen könnte, die nationalen Märkte gegeneinander abzuschotten. Bei Nennung der Bezugsquellen durch den potenziellen Verletzer (als Beweis der Erschöpfung) würde der Markeninhaber sofort das „Leck stopfen“ und das Vertriebssystem wieder gegen Außenseiter abschotten. Den Bedarf einer entsprechenden Anpassung der Beweislast sah der EuGH ebenfalls in dem vorliegenden Fall. Es ist daher Sache des Inhabers der nationalen Marke darzulegen und ggf. zu beweisen, dass es keine Abstimmung der Marken- bzw. der Geschäftsstrategie zwischen ihm und dem Inhaber der anderen nationalen Marken gibt. Der EuGH gab der Beklagten, die sich auf die Erschöpfung berufen hatte, allerdings auf, zunächst alle Indizien vortragen zu müssen, die den Schluss auf die Existenz wirtschaftlicher Beziehungen und der gemeinsamen Koordinierung der Markenstrategie durch die Markeninhaber zulassen. Eine bloße Behauptung „ins Blaue hinein“ wird also weiterhin nicht genügen.
Fazit: auch wenn die Entscheidung einen Sonderfall betraf, so erweitert sie doch die Möglichkeit, sich erfolgreich auf die Erschöpfung zu berufen. Aus Marketinggründen sollen Marken oftmals auf einem einheitlichen Markt wie der EU weiterhin einheitlich präsentiert und vermarktet werden, selbst wenn einzelne nationale Gesellschaften oder einzelne nationale Marken an Dritte veräußert wurden. Soweit eine solche Koordinierung nach Aufspaltung innerhalb der EU geschieht, muss jedoch damit gerechnet werden, dass mit dem erstmaligen Inverkehrbringen eines Produkts mit der entsprechenden Marke auch die Rechte aus allen anderen nationalen Parallelmarken der rechtlich unabhängigen Inhaber erschöpft sind.