Im Jahr 2013 hatte das Oberlandesgericht München in einem Hauptsacheverfahren einen Anbieter von Bach-Blüten-Produkten verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung „Rescue-Tropfen“ und/oder „Rescue Night Spray“ zu bewerben und/oder zu vertreiben. Der in I. Instanz ebenfalls geltend gemachte Anspruch, innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils die Behauptung zu widerrufen, ihre „Original Bach-Blüten“ seien in Deutschland ohne arzneimittelrechtliche Zulassung und/oder Registrierung verkehrsfähig, war nicht mehr Gegenstand des Berufungsrechtszugs. Da die Produkte des Anbieters jedoch weiterhin in Apotheken erhältlich waren, beantragten die Gläubigerinnen die Verhängung eines Ordnungsgeldes. Das Landgericht wies den Ordnungsmittelantrag zurück; das Beschwerdegericht bejahte hingegen einen Verstoß gegen das Unterlassungsgebot: Der Anbieter habe nicht – wie erforderlich – bereits ausgelieferte Produkte wieder zurückgerufen.
Der BGH hat sich der Entscheidung der II. Instanz angeschlossen. Das Vollstreckungsgericht habe durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu ermitteln, welche Verhaltensweisen vom Unterlassungsgebot erfasst würden. Dabei sei die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen worden sei, regelmäßig dahin auszulegen, dass sie auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustandes umfasse , wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot entsprochen werden könne . Ohne Bedeutung sei dabei, welche sachlich-rechtlichen Ansprüche dem Gläubiger zustünden ; unbedenklich sei es auch, dass die Frage, ob eine bestimmte Beseitigungsmaßnahme verhältnismäßig sei, erstmalig im Vollstreckungsverfahren geprüft werde, wenn sich der Schuldner hierzu im Erkenntnisverfahren nicht geäußert habe.
Der Bundesgerichtshof stellt weiter fest, dass die Verpflichtung zur Beseitigung des Störungszustandes auch das Verhalten Dritter mit umfasst. Zwar habe der Schuldner eines Unterlassungsanspruches für selbständiges Handeln Dritter grundsätzlich nicht einzustehen; er sei jedoch gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekomme, einzuwirken, wenn er mit deren Verstoß ernstlich rechnen müsse und zudem rechtliche und tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten des Dritten bestünden. In Streitfall bejahte der BGH deshalb die Verpflichtung der Schuldnerin zum Rückruf der bereits an Apotheken gelieferten Produkte, da die Gefahr eines weiteren Inverkehrbringens der fraglichen Produkte solange fortbestehe, wie die von der Schuldnerin gelieferten Produkte noch in den Apotheken erhältlich seien.
Problematisch ist allerdings, dass einstweilige Verfügungen häufig als Beschlussverfügungen ohne Beteiligung des Antragsgegners ergehen. Die Geltendmachung von Gründen, die die Auslegung des Unterlassungsanspruches im Sinne einer Rückrufverpflichtung unzumutbar und unverhältnismäßig erscheinen lassen, vor Erlass der einstweiligen Verfügung ist in diesen Fällen gar nicht möglich. Aus diesem Grunde findet auch die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die der Bundesgerichtshof durchaus für erforderlich hält, zunächst einmal gar nicht statt.
Hinzu kommt, dass ein Rückruf immer auch Sanktions- und Schadensbeseitigungscharakter hat . Schadensersatz- und Rückrufansprüche werden im einstweiligen Verfügungsverfahren allerdings, sofern sie ausdrücklich geltend gemacht werden, in aller Regel zurückgewiesen: Denn in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes darf die Hauptsache nicht vorweggenommen werden.
Gerade im pharmazeutischen Bereich hat ein Rückruf zudem besondere wirtschaftliche Auswirkungen. So entspricht es etwa einem allgemeinen Erfahrungssatz, dass die erste Phase des Marktzutritts eines Arzneimittels maßgeblich über dessen wirtschaftlichen Erfolg entscheidet. Verluste aus dieser Phase werden im Weiteren generell nicht mehr aufgeholt und sind auch mit einem Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO nicht adäquat auszugleichen. Ebenso entspricht es einem Erfahrungssatz, dass Arzneimittel, die sich einmal wegen Vertriebsstop oder Rückruf nicht mehr „in der Feder des Arztes“ befinden, von diesem auch im weiteren Verlauf seiner Tätigkeit praktisch nicht mehr verschrieben werden. Der Bestrafungscharakter eines solchen Unterlassungsgebotes ist damit evident. Ebenso, dass damit entgegen § 938 ZPO im einstweiligen Verfügungsverfahren die Hauptsache vorweggenommen wird.
Nichtsdestotrotz: Jedenfalls vorerst gilt es, sich auf die erweiternde Auslegung von Unterlassungsansprüchen hin zum Rückruf einzustellen. Dies wird die vermehrte Einreichung von Schutzschriften nach sich ziehen, da nur so die Gründe, die einen Rückruf von bereits ausgelieferten Produkten unverhältnismäßig erscheinen lassen, dem Gericht schon vor Erlass der einstweiligen Verfügung zu Gehör gebracht werden können. Auch wird die Entscheidung des BGH eine vermehrte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach § 945 ZPO nach sich ziehen, da Unternehmen im Falle unberechtigter einstweiliger Verfügungen über diese Norm versuchen werden, ihnen entstandene Schäden (jedenfalls teilweise) wieder zu kompensieren.