Das LG Mannheim hat in seiner Entscheidung vom 10.11.2017 „Funkstation“ (GRUR-RR 2018, 273 ff. – Funkstation) Erwägungen zu der Nachholbarkeit von FRAND-Verhandlungen im laufenden Patentverletzungsprozess aufgestellt. Der Patentinhaber soll nach der Ansicht des LG Mannheim unter gewissen Umständen seine Obliegenheiten nach den FRAND-Grundsätzen im Prozess nachholen und so einer Abweisung der Unterlassungs- und Rückrufanträge als derzeit unbegründet entgehen können.
Zum Hintergrund / kartellrechtlicher Missbrauchseinwand im Verletzungsverfahren
Ein Patent, aus welchem der Patentinhaber einen angeblichen Verletzer wegen Patentverletzung in Anspruch nehmen möchte, kann durch die faktische Marktdurchsetzung der patentgeschützten Technologie (sogenannter de facto-Standard) oder durch eine branchenweite Normierungsvereinbarung (sogenannter Industrie-Standard) ein standard-essenzielles Patent für den Zugang zu einem Produktmarkt darstellen (sogenanntes SEP). Einer Klage des Patentinhabers gegen einen Benutzer dieser standard-essenziellen patentgeschützten Technologie kann daher ein kartellrechtlicher Missbrauchseinwand entgegenstehen.
Um einem kartellrechtlichen Missbrauchseinwand im Verletzungsverfahren zu entgehen, muss der Patentinhaber eines SEPs daher grundsätzlich jedem Benutzer zuvor die Verwendung des Patents zu Lizenzbedingung, die FRAND (fair, reasonable and non-discriminatory) sind, ermöglichen.
FRAND-Ablauf
In seiner Entscheidung in der Rechtssache „HUAWEI Technologies“./. ZTE“, C-170/13 hat der EuGH im Jahr 2015 konkrete Vorgaben an die Obliegenheiten der betroffenen Parteien zur Findung einer FRAND-Lizenz aufgestellt.
Zunächst muss der SEP-Inhaber den angeblichen Verletzer auf die Patentverletzung hinweisen (Verletzungsanzeige). Auf die Verletzungsanzeige hin muss der angebliche Verletzer seinen Willen zum Ausdruck bringen, einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen zu schließen (Lizenzierungsbitte). Auf die Lizenzierungsbitte hin muss der Patentinhaber dem angeblichen Verletzer ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zur FRAND-Bedingungen unterbreiten (FRAND-Angebot). Auf dieses FRAND-Angebot muss der angebliche Verletzer zeitnah reagieren. Objektiv darf kein Eindruck einer Verzögerungstaktik entstehen. Der angebliche Verletzer kann entweder das FRAND-Angebot annehmen oder binnen angemessener Frist ein schriftliches konkretes Gegenangebot ebenfalls zu FRAND-Bedingungen machen (FRAND-Gegenangebot) und – wenn sein Gegenangebot abgelehnt wird – eine angemessene Sicherheit leisten und zur Berechnung der Sicherheit über die vergangenen Benutzungshandlungen abrechnen (Abrechnung und Sicherheitsleistung).
Hält der in Anspruch genommene angebliche Verletzer seine Obliegenheiten in den FRAND-Lizenzverhandlungen nicht ein, so kann er einer Verletzungsklage des Patentinhabers keinen kartellrechtlichen Missbrauchseinwand entgegenhalten. Hält sich der SEP-Inhaber nicht an seine Obliegenheiten in den FRAND-Lizenzverhandlungen, werden die Anträge auf Unterlassung und Rückruf auf Grundlage eines kartellrechtlichen Missbrauchs der Klageposition als derzeit unbegründet abgewiesen. Die Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung sind von einem kartellrechtlichen Missbrauchseinwand hingegen nicht betroffen, da diese Ansprüche keinen unmittelbaren Einfluss auf die Verfügbarkeit des Produkts des in Anspruch genommenen Verletzers auf dem Markt haben. Insoweit würde einer Klage daher im Falle der festgestellten Verletzung stattgegeben.
Die Entscheidung des LG Mannheim
In der Folge der Entscheidung des EuGHs haben insbesondere das LG Düsseldorf sowie das OLG Düsseldorf und das LG Mannheim sowie das OLG Karlsruhe den genauen Ablauf von FRAND-Lizenzverhandlungen in mehreren Entscheidungen weiter konkretisiert. Offen blieb dabei jedoch bislang, ob FRAND-Obliegenheiten der Parteien – insbesondere im Prozess – noch nachgeholt werden können.
Das Landgericht Mannheim hat sich nun – erstaunlicherweise losgelöst vom Fall in einem obiter dictum – hierzu positioniert: unter gewissen Bedingungen soll eine Nachholung der Obliegenheiten des SEP-Inhabers in FRAND-Lizenzverhandlungen im Prozess möglich sein.
Das LG Mannheim argumentiert mit der – dem EuGH-Urteil nach Ansicht des LG Mannheim innewohnenden – Intention des FRAND-Verhandlungsablaufs: Der angebliche Verletzer soll sich ohne den Druck einer bereits erhobenen Unterlassungsklage im Verhandlungswege entscheiden können, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu nehmen. Dieser Intention steht die Nachholung der einzelnen Schritte des FRAND-Verhandlungsablaufs im Prozess zunächst grundsätzlich entgegen. Das LG Mannheim sieht jedoch durch die zivilprozessualen Mittel der Unterbrechung (§ 249 ZPO) und des Ruhens des Verfahrens (§ 251 ZPO) die Möglichkeit, auch während eines laufenden Prozesses eine drucklose Verhandlungssituation herbeizuführen. Nach der Ansicht des LG Mannheim ist der in Anspruch genommene angebliche Verletzer sogar verpflichtet, einem Aussetzungsverlangen bzw. einem Verlangen zum Ruhen des Verfahrens des Klägers/SEP-Inhabers zum Zwecke der Nachholung von FRAND-Verhandlungen zuzustimmen, da der angebliche Verletzer ansonsten seine Lizenzunwilligkeit zeigen würde, wodurch ihm der kartellrechtliche Missbrauchseinwand abgeschnitten wäre. Ferner begründet das LG Mannheim seine Ansicht damit, dass die Sachurteilsvoraussetzungen und die Begründetheit einer Klage stets erst zum allein maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen müssen.
Die Argumentation des LG Mannheim zu der Entscheidungsintention des EuGH erscheint gewagt. Insbesondere hat der EuGH in der Entscheidung „HUAWEI Technologies ./. ZTE“ in seinem Berichtigungsbeschluss für die deutsche Version ausdrücklich klargestellt, dass der SEP-Inhaber vor Erhebung der Klage das FRAND-Verfahren anschieben muss. Hierauf hat auch das OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf GRUR 2017, 1219 – mobiles Kommunikationssystem, Rn. 168) hingewiesen, wenn es ausführt, dass die FRAND-Verhandlungen grundsätzlich vor Klageerhebung erfolglos abgeschlossen sein müssen, damit sich der SEP-Inhaber einem kartellrechtlichen Missbrauchseinwand erfolgreich widersetzen kann.
Für die Ansicht des LG Mannheim – und damit für eine Nachholbarkeit der FRAND-Verhandlungen selbst im bereits anhängigen Verletzungsprozess – spricht allerdings auch der Grundsatz der Prozessökonomie. In der Literatur und Rechtsprechung besteht Einigkeit darin, dass ein kartellrechtswidriges Verhalten keinen dauerhaften Rechtsverlust zur Folge hat (siehe z.B. Block in: GRUR 2017, 121, 127 m.w.N.). Dieser Grundsatz hat zur Folge, dass bei einem Verstoß des SEP-Inhabers gegen seine Obliegenheiten im FRAND-Verhandlungsablauf (und damit entsprechender Teilklageabweisung) dieser nicht gehindert ist, nach – außergerichtlicher – Nachholung seiner Obliegenheiten in FRAND-Lizenzverhandlungen ein neues Unterlassungsverfahren anzustrengen. Da die Ansprüche auf Schadensersatz, Auskunft und Rechnungslegung nicht vom kartellrechtlichen Missbrauchseinwand betroffen sind, wären daher dann zwei Klageverfahren über denselben Streitgegenstand und dieselben rechtlichen Fragen zu führen. Das würde dem Grundsatz der Prozessökonomie allerdings diametral entgegenlaufen. Das Verbot der Nachholung von FRAND-Verhandlungen im anhängigen Prozess und Verweis auf außergerichtliche Verhandlungen erscheint als bloße Förmelei.
Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich die Ansicht des LG Mannheim durchsetzt. Die Berufung gegen das Urteil ist beim OLG Karlsruhe anhängig.