In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die unberechtigte Verwarnung aus einem gewerblichen Schutzrecht einen rechtswidrigen und schuldhaften Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemäß § 823 Abs. 1 BGB darstellen kann. Derjenige, der zu Unrecht verwarnt hat, ist verpflichtet, dem Verwarnten den Schaden zu ersetzen, der aufgrund der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung entstanden ist (vgl. insbesondere BGHZ 164, S. 1 ff. – Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung I).
Zu den erstattungsfähigen Schäden gehören typischerweise die Kosten, die dem Verwarnten durch die Einschaltung von Rechts- und/oder Patentanwälten zur Abwehr der mit der Verwarnung geltend gemachten Ansprüche entstanden sind.
Mit Urteil vom 11.01.2018 hatte der Bundesgerichtshof in der Sache „Ballerinaschuh“, Aktenzeichen: I ZR 187/16, Gelegenheit, zum Umfang eines solchen Schadensersatzanspruches bei einer Einstellung des weiteren Vertriebs des angegriffenen Produkts Stellung zu nehmen. Der BGH hat ausgeführt, dass ersatzfähig auch die nach Klageerhebung entstandenen Schäden sind. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, weil die Erhebung einer (unberechtigten) Klage in der Regel keinen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt, weil der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird, insbesondere durch einen Anspruch auf Kostenerstattung im Falle des Obsiegens, durch den Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 ZPO bei unberechtigter Vollstreckung eines erstinstanzlichen Urteils und durch den Bereicherungsanspruch gemäß § 717 Abs. 3 ZPO aufgrund einer unberechtigten Vollstreckung eines Urteils eines Oberlandesgerichts.
Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin ist Inhaberin eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters an einem Schuhmodell („Ballerinaschuh“). Die (spätere) Beklagte vertrieb ein Schuhmodell, das nach Ansicht der Klägerin das Gemeinschaftsgeschmacksmuster verletzte. Die Klägerin verwarnte die Beklagte wegen Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters und stützte die geltend gemachten Ansprüche auch auf den wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gemäß § 4 Nr. 3 UWG. Die Beklagte stellte den weiteren Vertrieb der angegriffenen Schuhmodelle ein, gab aber nicht die geforderte strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung ab. Die Klägerin erhob daraufhin eine Klage beim Landgericht Düsseldorf, die sie in erster Linie auf die Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacks¬musters und in zweiter Linie auf § 4 Nr. 3 UWG stützte. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und erhob ihrerseits eine Widerklage mit einem Antrag auf Feststellung, dass die Klägerin verpflichtet sei, die aufgrund der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung entstandenen und noch entstehenden Schäden zu ersetzen.
Das Landgericht Düsseldorf gab der Klage wegen Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters statt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf war der Ansicht, dass weder eine Verletzung des Gemeinschaftsgeschmacksmusters vorliegen noch ein Anspruch gemäß § 4 Nr. 3 UWG bestehen würde. Damit war nach Ansicht des Oberlandesgerichts auch die vorgerichtliche Verwarnung rechtswidrig. Das OLG hob dementsprechend das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Widerklage auf Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung gab das OLG statt.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach die Beklagte das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin nicht verletzt habe. Allerdings war der Bundesgerichtshof der Ansicht, dass ein Anspruch der Klägerin gemäß § 4 Nr. 3 UWG in Betracht kommen könne, was indes noch weiterer Feststellungen durch das Berufungsgericht bedürfe. Der BGH hob dementsprechend das Urteil des Oberlandesgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurück. Das Berufungsurteil konnte auch nicht im Hinblick auf die stattgegebene Widerklage auf Feststellung der Schadensersatzpflicht aufgrund unberechtigter Schutzrechtsverwarnung Bestand haben. Zwar habe die Beklagte das Gemeinschaftsgeschmacksmuster nicht verletzt, so dass dementsprechend insoweit auch die Verwarnung nicht gerechtfertigt gewesen sei. Allerdings käme, wie ausgeführt, ein Anspruch gemäß § 4 Nr. 3 UWG in Betracht. Sollte dieser Anspruch bestehen, so wäre die Verwarnung gerechtfertigt mit der Folge, dass der mit der Widerklage geltend gemachte Anspruch auf Feststellung der Schadensersatzpflicht nicht gegeben sei. Der Bundesgerichtshof hatte keine Zweifel daran, dass die auf Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Widerklage zulässig ist. Sollte die Verwarnung unberechtigt gewesen sein, so sei ein entsprechendes Feststellungsinteresse gegeben. Selbst wenn der Anspruch im Laufe des Prozesses bezifferbar werde, müsse der (Wider-) Kläger auch dann nicht zur Leistungsklage übergehen (BGH GRUR 2008, 258 ff., Rn. 18 – INTERCONNECT/T-InterConnect).
Für die neue Entscheidung durch das Oberlandesgericht wies der BGH im Hinblick auf die Widerklage auf folgendes hin: Sollte das Oberlandesgericht nach weiteren Feststellungen zu der Ansicht gelangen, dass auch ein Anspruch der Klägerin gemäß § 4 Nr. 3 UWG nicht vorliegen würde, sei die vorgerichtliche Verwarnung nicht gerechtfertigt und könne einen zum Schadensersatz verpflichtenden Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen. Die Beklagte könne sowohl den Schaden liquidieren, der ihr bis zur Klageerhebung entstanden sei, als auch denjenigen, der danach entstanden sei. Werde eine bereits erfolgte Produktions- oder Vertriebseinstellung nach Klageerhebung beibehalten, könne der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verwarnung und dem letztlich eingetretenen Schaden grundsätzlich nicht verneint werden, auch wenn dieser Schaden erst nach Klageerhebung eingetreten sei. Die Entscheidung des Verwarnten, den Vertrieb des angegriffenen Produkts einzustellen, werde durch die Abmahnung ausgelöst. Der Inhaber des Schutzrechtes verleihe seinem Begehren, den Vertrieb des angegriffenen Produktes zu unterlassen, mit der Klageerhebung nur noch größeren Nachdruck, sodass die im Anschluss an eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung erhobene Klage den durch die Schutzrechtsverwarnung ausgelösten Zurechnungszusammenhang grundsätzlich nicht unterbreche.
Anmerkung: Für den Umfang des durch eine Vertriebseinstellung entstandenen Schadensersatz-anspruches aufgrund einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung wird es nach Ansicht des Verfassers entscheidend darauf ankommen, wann der Verwarnte den Vertrieb des angegriffenen Produkts eingestellt hat. Geschieht dies bereits aufgrund der unberechtigten Schutzrechts-verwarnung, kann der Verwarnte nicht nur die bis zur Klageerhebung entstandenen Schäden ersetzt verlangen, sondern auch die nach Klageerhebung entstehenden Schäden. Wird der Vertrieb des angegriffenen Produktes nicht schon aufgrund der Verwarnung eingestellt, sondern erst nach Klageerhebung, so ist nach Ansicht des Verfassers der dadurch entstehende Schaden nicht auf die Abmahnung, sondern auf die (privilegierte) Klageerhebung zurückzuführen. Es fehlt in diesem Falle an der Kausalität zwischen dem nach Klageerhebung eingetretenen Schaden und der Verletzungshandlung (der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung). Gleiches gilt, wenn der Verwarnte den Vertrieb des Produktes erst nach Erlass eines vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteils einstellt, das in einer höheren Instanz aufgehoben wird. Wenn ein der Klage aufgrund eines gewerblichen Schutzrechtes stattgebendes Urteil des Landgerichts in einer höheren Instanz aufgehoben wird, bedeutet dies zwar, dass eine Verletzung des Schutzrechts nicht vorlag mit der Folge, dass dann auch die vorgerichtliche Verwarnung unberechtigt war. Allerdings erfolgte die Einstellung des Vertriebs eben nicht aufgrund der unberechtigten Verwarnung, sondern aufgrund des erstinstanzlichen Urteils. Auch in diesem Falle fehlt es an der Kausalität zwischen dem Schaden und der Verletzungshandlung. In diesem Zusammenhang ist weiter zu bedenken, dass der Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 ZPO nur solche Schäden erfasst, die „durch die Vollstreckung“ entstanden sind. Der Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 ZPO setzt somit voraus, dass der Kläger/Gläubiger die Zwangsvollstreckung aufgrund des erstinstanzlichen Urteils tatsächlich betrieben hat bzw. einen „Vollstreckungsdruck“ aufgebaut hat. Ein solcher „Vollstreckungsdruck“ besteht insbesondere dann, wenn der Kläger/Gläubiger sämtliche Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren erstinstanzlichen Urteils erfüllt hat, insbesondere die vom Landgericht festgesetzte Sicherheitsleistung erbracht hat (vgl. dazu BGH GRUR 2011, 364 – Steroidbeladene Körner). Sollte somit der Kläger/Gläubiger die Zwangsvollstreckung aufgrund eines erstinstanzlichen vorläufig vollstreckbaren Urteils nicht betrieben und auch keinen „Vollstreckungsdruck“ aufgebaut haben, so kann der Beklagte/Schuldner den durch eine Vertriebseinstellung entstehenden Schaden nicht gemäß § 717 Abs. 2 ZPO geltend machen. Als Anspruchsgrundlage für solche Schäden bleibt dann nur § 823 Abs. 1 BGB („Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aufgrund einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung“). Dies setzt allerdings wiederum voraus, dass der Beklagte/Schuldner den Vertrieb schon aufgrund der Abmahnung eingestellt hat und nicht erst aufgrund der Klageerhebung bzw. aufgrund eines erstinstanzlichen Urteils. Hat er den Vertrieb nicht schon aufgrund der Abmahnung eingestellt, sondern erst später, geht er „leer aus“.