Aufgrund dieses Urteils stellt sich die Frage, ob damit in Deutschland der Weg offen ist für einen insbesondere aus dem amerikanischen Recht bekannten Anspruch auf Strafschadens-ersatz, also auf „Punitive Damages“.
Nach dem deutschen Rechtsverständnis setzt ein Schadensersatzanspruch folgendes voraus: eine Verletzungshandlung, einen tatsächlich eingetretenen Schaden und insbesondere die Kausalität zwischen Verletzungshandlung und Schaden. Nur der Schaden, der ursächlich auf die Verletzungshandlung zurückzuführen ist, kann erstattet verlangt werden. Die Darle-gungs- und Beweislast für die Verletzungshandlung, für den Eintritt des Schadens und für die Kausalität trägt der Verletzte. Gelingt ihm insbesondere der Nachweis zur Kausalität nicht, erhält er keinen Schadensersatz.
Dem deutschen Juristen ist daher ein Strafschadensersatz ohne Kausalitätsnachweis fremd. Einen sogenannten „Verletzerzuschlag“ gibt es im deutschen Recht grundsätzlich nicht (ständige Rechtsprechung; vgl. nur BGH GRUR 1980, S. 841 ff. – Tolbutamid). Ausnahme wohl: bei Fotografien führt die fehlende Urhebernennung zu einem 100%igen Zuschlag des für die jeweilige Nutzung üblichen Honorars (vgl. z. B. Dreier/Schulze, zu § 13 UrhG, Rn. 35 m. w. N.).
Gerade im gewerblichen Rechtschutz bereitet die Ermittlung des Schadensersatzes besondere Schwierigkeiten. Wie soll z. B. der Inhaber eines verletzten Schutzrechtes einen Schaden nachweisen, wenn er wirtschaftlich erfolgreich ist und seine Gewinne stetig steigen? Und wie soll er bei einem Rückgang seines Gewinns beweisen, dass dies gerade auf der Verletzung des Schutzrechts beruht?
Angesichts dieser Schwierigkeiten gibt es bekanntlich für die Ermittlung des Schadensersatzes im gewerblichen Rechtschutz drei Berechnungsarten: Ersatz des entgangenen eigenen Gewinns, Zahlung einer angemessenen (bzw. „fiktiven“ bzw. „üblichen“) Lizenzgebühr sowie die Herausgabe des Verletzergewinns. Diese drei Berechnungsarten waren seit Jahrzehnten in der deutschen Rechtsprechung gewohnheitsrechtlich anerkannt, bevor sie mit Wirkung zum 01.09.2008 in die Gesetze zum gewerblichen Rechtschutz und zum Urheberrecht eingeführt wurden.
§§ 139 Abs. 2 PatG, 24 Abs. 2 GebrMG, 14 Abs. 6 MarkG, 42 Abs. 2 DesignG und 97 Abs. 2 UrhG lauten in der Fassung ab dem 01.09.2008 wie folgt:
„Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Benutzung der Erfindung eingeholt hätte.
Diese gesetzlichen Vorschriften beruhen auf Artikel 13 der eingangs bereits erwähnten RL 2004/48/EG (sog. Durchsetzungsrichtlinie), der zum Schadensersatz wie folgt lautet:
„Bei der Festsetzung des Schadensersatzes verfahren die Gerichte wie folgt:
a) sie berücksichtigen alle in Frage kommenden Aspekte, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, einschließlich der Gewinneinbußen für die geschädigte Partei und der zu Unrecht erzielten Gewinne des Verletzers, sowie in geeigneten Fällen auch andere als die rein wirtschaftlichen Faktoren, wie den immateriellen Schaden für den Rechtsinhaber, oder
b) sie können stattdessen in geeigneten Fällen den Schadensersatz als Pauschalbetrag festsetzen, und zwar auf der Grundlage von Faktoren, wie mindestens dem Betrag der Vergütung oder Gebühr, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Rechts des geistigen Eigentums eingeholt hätte.“
Das vom Unterzeichner unterstrichene Wort „mindestens“ in der Durchsetzungsrichtlinie fehlt in den oben wiedergegebenen Vorschriften aus den deutschen Gesetzen. Gleichwohl ist Arti-kel 13 der Durchsetzungsrichtlinie mit dem Wort „mindestens“ bei der Ermittlung des Schadensersatzes selbstverständlich zu berücksichtigen (vgl. hierzu Meier-Beck, Schadenskompensation bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte nach dem Durchsetzungsgesetz, WRP 2012, S. 503 ff.).
Zudem ist in der deutschen Rechtsprechung schon seit längerem anerkannt, dass bei der Ermittlung des Schadenersatzes im gewerblichen Rechtschutz auch die Vorteile auszugleichen sind, die der Verletzer im Vergleich zu einem redlichen Lizenznehmer hat (BGH GRUR 2000,685 ff., 3 b) –Formunwirksamer Lizenzvertrag).
So hat z.B. das Landgericht Düsseldorf in der Entscheidung „Teigportioniervorrichtung“ den Grundlizenzsatz von 5 % um 0,5 % auf 5,5 % erhöht, weil der Verletzer –im Gegensatz zu einem redlichen Lizenznehmer- nicht verpflichtet ist, eine Überprüfung seiner Bücher zu dulden (vgl. LG Düsseldorf GRUR 2000, Seite 309 ff. –Teigportioniervorrichtung). In der selben Entscheidung hat das Landgericht Düsseldorf den Grundlizenzsatz um weitere 0,5 % auf schließlich 6 % erhöht, weil der Verletzer nicht verpflichtet ist, für eine nichtschutzfähige Erfindung Lizenzgebühren zahlen zu müssen. Der redliche Lizenznehmer kann grundsätzlich die von ihm geleisteten Lizenzgebühren nicht zurückverlangen, wenn während der Laufzeit des Lizenzvertrages das Schutzrecht vernichtet wird (siehe dazu insbesondere EuGH GRUR 2016, 917 ff. –Lizenzzahlung trotz Nichtigkeit des Patents). Dieses Risiko trägt der Verletzer nicht. Wenn während des Prozesses das Schutzrecht vor einer Verurteilung vernichtet wird, braucht er keine Zahlungen zu leisten. Wenn er aufgrund einer Verurteilung Schadenersatz geleistet hat, kann er die geleisteten Zahlungen bei späterer Vernichtung des Schutzrechtes zurückverlangen, und zwar auch nach Rechtskraft des Urteils im Wege der Restitutionsklage gemäß § 580 Nr. 6 ZPO.
Das Landgericht München I hat in der Entscheidung „Gülleausbringung“ bei der Ermittlung des Schadenersatzes nach der Lizenzanalogie insbesondere auch die Besonderheiten berücksichtigt, die die gerichtlich festgestellte Verletzungssituation von der Situation vernünftiger Parteien bei der gewöhnlichen Anbahnung eines Lizenzvertrages unterscheiden, wie z.B.: Klärung des Rechtsbestandes durch den Inhaber des Schutzrechts, Klärung der Patentnutzung durch den Verletzer, fehlendes Vertrauen in die Richtigkeit der Auskunft des Verletzers, erhöhtes Ausfallrisiko für den Patentinhaber. Zudem hat das Landgericht München I in seine Überlegungen einfließen lassen, welchen erhöhten Aufwand an Kosten und Zeit der Inhaber des Schutzrechtes aufwenden muss, um seine Ansprüche gegen einen Verletzer in einem mehrjährigen Prozess durchzusetzen. Diese speziellen Umstände haben im Ergebnis dazu geführt, dass das Landgericht München I den Grundlizenzsatz um 66 % erhöht hat (Landgericht München I., Mitteilungen 2013, Seite 275 ff. –Gülleausbringung).
Hinsichtlich der Umstände, die im übrigen noch lizenzerhöhend zu berücksichtigen sein können, wird verwiesen auf die Ausführungen bei Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 9. Auflage, I. Schadenersatz, Rn. 111 ff.
Der Verletzer hat dementsprechend oft einen im Vergleich zum redlichen Lizenznehmer erhöhten Lizenzsatz als Schadensersatz zu bezahlen.
Fazit des Unterzeichners:
Bei der Ermittlung des Schadenersatzes in gewerblichen Rechtsschutz gibt es im deutschen Recht im Ergebnis faktisch bereits „Punitive Damages“, auch wenn wir es so nicht nennen. Das Urteil des EuGH vom 25.01.2017 bietet dem Verletzten eine Argumentationshilfe, um den Grundlizenzsatz um bis zu 100 % zu erhöhen.