Eine vollständige Vernichtung einer Gesamtvorrichtung scheidet aus, wenn es möglich ist, lediglich ein Einzelteil der Gesamtvorrichtung zu vernichten oder ein technisches Merkmal derart zu verändern, dass die Gesamtvorrichtung nicht mehr in den Schutzbereich des Patents fällt. Voraussetzung ist, dass es sich hierbei um eine Maßnahme handelt, die die Wiederherstellung des patentverletzenden Zustandes ausschließt. Dies hat das OLG Düsseldorf mit Urteil vom 05.11.2020, Aktenzeichen I-2 U 63/19 entschieden, abgedruckt z.B. in GRUR-RR 2021, S. 15 ff.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin ist Inhaberin eines Europäischen Patents betreffend ein Verbindungselement für einen Bodenbelag, welches aus einem ersten sowie einem zweiten Teilelement besteht. Nach der patentgemäßen Lehre verfügen die Teilelemente jeweils über Hohlkammern und Verbindungsöffnungen, über welche sie mit einem Verbindungsmittel miteinander verbunden werden können und die im zusammengesetzten Zustand einen Verbindungskanal bilden, in dem ein Verbinder angeordnet ist. Die Verbindungselemente sind insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungsöffnungen der Teilelemente, durch welche die Verbindungsmittel geführt werden, als Langlöcher ausgeführt sind.
Die Beklagte bot an, verwendete und vertrieb in der Bundesrepublik Deutschland Verbindungsstücke für Bodensegmente eines Bodenbelags, welche von sämtlichen Merkmalen der patentgeschützten Lehre Gebrauch machten. Die Klägerin nahm die Beklagte daher wegen wortsinngemäßer Patentverletzung in Anspruch.
Das Landgericht Düsseldorf bejahte eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents und sprach der Klägerin die Ansprüche nach dem Patentgesetz mit Ausnahme des geltend gemachten Anspruchs auf Vernichtung der Gesamtvorrichtung zu. Eine Vernichtung der Gesamtvorrichtung, bestehend aus einem ersten sowie einem zweiten Teilelement, Verbinder und Verbindungsmittel, sei unverhältnismäßig. Eine Vernichtung des ersten Teilelements der angegriffenen Verbindungselemente sei ausreichend. Schon dadurch werde gewährleistet, dass die Beklagte die patentgemäße Gesamtvorrichtung nicht mehr verwenden könne. Alternativ könnte die Beklagte das erste Teilelement derart umgestalten, dass die Verbindungsöffnungen als Rundloch anstatt als Langloch ausgebildet sind. Denn auch in diesem Fall sei hinreichend gesichert, dass die Beklagte nicht mehr vom Patent Gebrauch mache.
Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg.
Die Klägerin griff die Beschränkung des Vernichtungsanspruchs im Berufungsverfahren nicht an, weswegen sich das OLG nur mit der Verhältnismäßigkeit der tenorierten Teil-Vernichtung befasste. Die Beklagte verteidigte sich gegen den Vernichtungsanspruch damit, dass sie keine Gesamtvorrichtung in ihrem Besitz oder Eigentum habe, sondern nur die einzelnen Bauteile. Ferner sei in ihren Vertragsbedingungen geregelt, dass ihre Kunden die Teilelemente nicht zu einer patentgemäßen Gesamtvorrichtung zusammensetzen dürften.
Das OLG ließ beide Argumente nicht gelten.
Sämtliche Bauteile, aus welchen die erfindungsgemäßen Verbindungsteile zusammengesetzt werden, befänden sich im Besitz der Beklagten. Sie seien nur (derzeit) nicht patentgemäß zusammengesetzt. Ein entsprechender Zusammenbau werde vom streitgegenständlichen Patentanspruch jedoch auch nicht verlangt. Vielmehr sollen nach der patentgemäßen Lehre die einzelnen Teilelemente derart ausgestaltet sein, dass bei ihrer Kombination ein Verbindungskanal entsteht. Mit anderen Worten: erforderlich sei lediglich, dass die Bauteile dazu geeignet sind, zur geschützten Vorrichtung zusammengebaut zu werden. Sofern sich sämtliche Elemente einer Gesamterfindung im Besitz des Patentverletzers befänden und Anhaltspunkte bestünden, dass diese durch den Verletzer selbst oder – diesem zurechenbar – durch einen Dritten zum Erfindungsgegenstand zusammengesetzt werden sollen, unterlägen auch diese Einzelteile der Vernichtung.
Auch den Einwand der Beklagten, ein erfindungsgemäßer Zusammenbau der Einzelteile durch ihre Kunden sei auf Grund ihrer Vertragsbedingungen ausgeschlossen, lehnte das OLG ab. Denn es sei weder gesichert, dass sich die Kunden an diese Bedingung hielten, noch, dass die Beklagte die Verpflichtung im Falle eines Verstoßes auch durchsetze.
Ferner wies das OLG darauf hin, dass eine Vernichtung nicht bereits deshalb unverhältnismäßig sei, weil die Beklagte bereits zur Unterlassung verurteilt worden und somit an der Verbindung der Einzelteile zur erfindungsgemäßen Gesamtvorrichtung gehindert sei. Zum einen verliefe der Vernichtungsanspruch bei einer solchen Wertung ins Leere, zum anderen wäre für den Vernichtungsanspruch nach § 140a PatG eine zukünftige Begehungsgefahr nicht erforderlich.
Das OLG bestätigte die Ansicht des LG, wonach die Vernichtung der Gesamtvorrichtung unverhältnismäßig sei, wenn schon eine Teilvernichtung dazu führe, dass von der patentgemäßen Lehre kein Gebrauch mehr gemacht werde. Eine vollständige Vernichtung scheide zudem auch dann aus, wenn ein technisches Merkmal so abgeändert werde, dass die Gesamtvorrichtung nicht mehr in den Schutzbereich des Patents falle (wie hier Rundloch statt Langloch) und dies eine gleichermaßen geeignete Alternative zur Gesamtvernichtung darstelle. Ob eine gleichermaßen geeignete Alternative vorliege, sei davon abhängig, ob durch nachträgliche Manipulationen – auch von dritter Seite – der patentverletzende Zustand wiederhergestellt werden und die patentverletzende Ware wieder in den Verkehr gelangen könne. Erst wenn dies auszuschließen sei, käme eine Beschränkung der Vernichtung in Betracht.
Entscheidungen zur Teilvernichtung oder Abänderung als mildere Maßnahmen zur Gesamtvernichtung sind dünn gesäht (bspw. OLG Frankfurt Main GRUR-RR 2017, 289 – Legekopf: kein Vernichtungsanspruch nach Ablauf des Klagepatents). In der Rechtsprechung der Instanzgerichte – insbesondere der Düsseldorfer Gerichte – wird die Unverhältnismäßigkeit der Vernichtung des gesamten Erzeugnisses als besonders zu begründende Ausnahme angesehen und sehr restriktiv angewandt. Auch wenn die restriktive Anwendung des § 140a Abs. 4 PatG mitunter zu folgenschweren Schäden beim Verletzer führen und eine erhebliche Ressourcenverschwendung darstellen kann, räumt der Gesetzgeber den Rechten des Patentinhabers prinzipiell den Vorrang ein. Begründet wird dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 140a PatG mit der gesetzgeberischen Zielsetzung: Neben der generalpräventiven Abschreckungswirkung sowie des Sanktionscharakters dient die Vernichtung vor allem der Folgenbeseitigung. Die patentverletzende Ware soll unwiederbringlich beseitigt werden, sodass eine erneute Schutzrechtsverletzung dauerhaft ausgeschlossen ist.
Vor diesem Hintergrund ist die praxisnahe Entscheidung des OLG Düsseldorf als konkretes Beispiel, wann eine Vernichtung der gesamten Vorrichtung ausnahmsweise zur Erreichung dieser Gesetzesziele nicht erforderlich ist, sehr zu begrüßen. Herstellern einer aus mehreren Teilen bestehenden Gesamtvorrichtung wird im Falle einer Patentverletzung durch dieses Urteil eine Anleitung an die Hand gegeben, die jeweiligen Einzelteile auf patentfreie und unumkehrbare Abwandlungen hin zu überprüfen und durch eine entsprechende Umgestaltung der vollständigen Vernichtung der Vorrichtung und damit einer unnötigen Wert- und Ressourcenvernichtung zu entgehen. Ob der BGH dieser Rechtsprechung zustimmt, bleibt abzuwarten. Die Beklagte hat gegen das Urteil des OLG eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die unter dem Aktenzeichen X ZR 110/20 geführt wird.