Das Patent wirkt nicht gegen den, der zum Zeitpunkt der Patentanmeldung bereits mit der Benutzung der Erfindung in Deutschland begonnen oder die dazu notwendigen Vorbereitungen getroffen hatte. Dieser ist berechtigt, die Erfindung für die Bedürfnisse seines eigenen Betriebs in eigenen oder fremden Werkstätten zu benutzen. Dieses sogenannte Vorbenutzungsrecht kann nur zusammen mit dem Betrieb vererbt oder verkauft werden.
Beklagte in deutschen Patentverletzungsverfahren können sich zur Verteidigung gegen den Verletzungsvorwurf auf ein solches Vorbenutzungsrecht berufen. Vor deutschen Verletzungsgerichten ist es schwierig, ein Vorbenutzungsrecht zu begründen. Beklagte müssen sehr eindeutige Belege haben, um das Gericht davon zu überzeugen, dass sie vor dem Prioritätstag des jeweiligen Streitpatents im Besitz genau derselben Erfindung gewesen sind und dass sie tatsächliche Vorbereitungen für die Benutzung der Erfindung getroffen hatten (anstatt sie nur als eine von mehreren möglichen Lösungen zu betrachten). Während die Gerichte den Umfang des Vorbenutzungsrechts traditionell eng auslegen, werden der Patentanspruch und die Handlungen, die eine Verletzung darstellen können, weit ausgelegt. Mit anderen Worten: Auch wenn ein Beklagter die patentverletzende Ausführungsform vor dem Prioritätstag des Patents benutzt hatte, haben deutsche Gerichte oftmals ein Argument gefunden, warum für diese Ausführungsform kein Vorbenutzungsrecht bestehe oder warum das Vorbenutzungsrecht nicht gegen das jeweilige Streitpatent geltend gemacht werden könne.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat sich kürzlich in einem sehr gut begründeten Urteil für mehr Kohärenz zwischen der Beurteilung der Verletzungssituation und dem Umfang des Vorbenutzungsrechts ausgesprochen.
In dem zu entscheidenden Fall ging es um eine Patentanmeldung betreffend eine Schutzverkleidung für Funkanlagen. Anspruch 1 des Streitpatents schützt eine Vorrichtung, nämlich eine Schutzverkleidung mit bestimmten Komponenten. Anspruch 17 schützt ein Verfahren zum Zusammensetzen der einzelnen Komponenten. Die Beklagte hatte für einen ihrer Kunden ein kugelförmiges Radom errichtet, wobei sie sowohl den Vorrichtungs- als auch den Verfahrensanspruch des Streitpatents verwirklichte.
Zu ihrer Verteidigung berief sich die Beklagte auf ein Vorbenutzungsrecht. Nach den Feststellungen des Gerichts hatte die Beklagte bereits Jahre vor Anmeldung des Streitpatents einen patentgemäßen Bausatz für ein kugelförmiges Radom an ein Bauunternehmen geliefert, welches den Bausatz auf der Baustelle nach dem streitpatentgemäßen Verfahren zu einer patentgemäßen Schutzverkleidung zusammengebaut hatte. Das Gericht stellte ferner fest, dass das Bauunternehmen die einzelnen Bauteile „einfach“ zu der patentgemäßen Schutzverkleidung zusammenfügen konnte, dass das Zusammenfügen „sicher vorhersehbar“ war und dass der gelieferte Bausatz „in seiner Gesamtheit technisch und wirtschaftlich sinnvoll überhaupt nur patentgerecht einsetzbar war“.
Auf dieser Grundlage bestätigte das Gericht das Vorbenutzungsrecht der Beklagten und hob die erstinstanzliche Entscheidung auf. Das Gericht entschied, dass die Beklagte im Rahmen ihres Vorbenutzungsrechts von der Lieferung von Bausätzen für patentgemäße Schutzverkleidungen zu der Herstellung von patentgemäßen Schutzverkleidungen übergehen darf.
Im Hinblick auf den Vorrichtungsanspruch sah das Gericht in dem Verkauf von Bausätzen (nicht der gesamten Vorrichtung) eine unmittelbare Vorbenutzungshandlung. Bemerkenswerter Weise argumentierte das Gericht, dass der Verkauf des Bausatzes, d.h. der nicht zusammengefügten Einzelkomponenten, auch ein Vorbenutzungsrecht für die zusammengesetzte Vorrichtung begründete. Nach Auffassung des Gerichts sei die Lieferung eines Bausatzes eine Verletzungshandlung, wenn das Zusammenfügen der einzelnen Komponenten zu der geschützten Gesamtvorrichtung beim Abnehmer sicher vorhersehbar und einfach zu bewerkstelligen ist. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Lieferung des Bausatzes eine Verletzungshandlung darstelle, müsse, bei rationaler Betrachtung, die Lieferung des Bausatzes vor dem Prioritätsdatum auch ausreichen, um ein Vorbenutzungsrecht für die Herstellung der geschützten Gesamtvorrichtung selbst zu begründen. Das ist überzeugend und konsequent.
Darüber hinaus argumentierte das Gericht, dass in Fällen, in denen der Vorbenutzer alle Komponenten für eine Vorrichtung geliefert hatte und das Zusammenfügen zur geschützten Gesamtvorrichtung durch den Abnehmer sicher vorhersehbar und einfach zu bewerkstelligen war, das Vorbenutzungsrecht nicht auf die Fortsetzung der Lieferung der Bausätze beschränkt sei, sondern auch den Übergang des Vorbenutzers zur Herstellung des geschützten Geräts selbst umfasse.
Noch interessanter ist es, dass das Gericht die Beklagte auch in Bezug auf den Verfahrensanspruch auf das Vorbenutzungsrecht zurückgreifen ließ. Die Lieferung der Bausätze zur Anwendung des geschützten Verfahrens (dem Zusammenbauen des Radoms) war zwar lediglich eine mittelbare Vorbenutzungshandlung. Nach Auffassung des Gerichts können solche mittelbaren Vorbenutzungshandlungen jedoch die Befugnis zu einer unmittelbaren Benutzung begründen, wenn der Vorbenutzer alle für die Anwendung des patentgeschützten Verfahrens erforderlichen Komponenten an einen Dritten geliefert hat und wenn die gelieferten Komponenten technisch und wirtschaftlich sinnvoll überhaupt nur nach Maßgabe des Patents eingesetzt werden können. In solchen Fällen sei das Vorbenutzungsrecht nicht nur auf das Anbieten und Liefern der Mittel zur Anwendung des geschützten Verfahrens beschränkt, sondern umfasse auch die Anwendung des geschützten Verfahrens selbst. Nach der Auffassung des Gerichts gebe es keine Rechtfertigung für eine unterschiedliche Behandlung der Vorrichtungs- und Verfahrensansprüche des Streitpatents: Der Verfahrensanspruch des Streitpatents ging nicht über den Vorrichtungsanspruch hinaus oder wich von ihm ab, sondern war lediglich die Adaption des Vorrichtungsanspruchs in die Sprache eines Verfahrensanspruchs – ein bekannter Versuch, den Schutzbereich des Patents zu maximieren. Unter diesen Umständen müsse der Vorbenutzer auch gegen den Verfahrensanspruch ein unmittelbares Vorbenutzungsrecht geltend machen können. Andernfalls wäre das Vorbenutzungsrecht im Hinblick auf den Vorrichtungsanspruch wertlos. Bei der Herstellung einer patentgemäßen Vorrichtung müsste der Vorbenutzer nämlich zwangsläufig sämtliche Merkmale des Verfahrensanspruchs verwirklichen, was ihm dann trotz des Vorbenutzungsrechts nicht gestattet wäre. Das Gericht befand zu Recht, dass dies kein zufriedenstellendes Ergebnis wäre.
Das Gericht hat die Revision zugelassen.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf basiert auf überzeugender Logik und angemessener Abwägung der Rechte der Parteien. Das Gericht bringt den Schutzumfang, der den Patentinhabern auf Grundlage des tatsächlichen Umfangs und Wertes ihrer Erfindungen gewährt wird, und das Vertrauen der Vorbenutzer auf ihr Recht, die Erfindungen weiterhin zu benutzen, in ein faires Gleichgewicht. Das ist eine gute Nachricht für Beklagte in Patentverletzungsverfahren. Bei anderen komplizierten Fragen in Patentverletzungsfällen, zum Beispiel bei Fragen der Erschöpfung des Patents oder der Aussetzung von Verletzungsverfahren während der Anhängigkeit von Nichtigkeitsverfahren, waren die deutschen Verletzungsgerichte bisher eher den Klägern zugeneigt. Vielleicht ist die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ein Signal, die bisherige Entscheidungspraxis hinsichtlich einiger solcher Fragen zu überdenken und die systembedingten Nachteile von Beklagten in deutschen Patentverletzungsverfahren stärker zu beachten.