Man mag von den unendlichen Weiten des Weltraums träumen und bereits Bodyscanner à la Star Trek vor Augen haben, so faszinierend sind die Möglichkeiten, die durch diese Anwendungen entstanden sind, zumal nach einer im Ärzteblatt vom 06.08.2015 veröffentlichten Umfrage bereits jetzt 16 % der Bevölkerung glauben, Gesundheits-Apps könnten den Arztbesuch ersetzen.
Zunächst einmal sollte man jedoch in der Realität landen und hier ist festzustellen, dass die Zahl und Verbreitung der Apps rasant ansteigt, sehr oft ohne dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Eine Vielzahl der verbreiteten Medical Apps unterfallen schließlich dem Medizinprodukteregime und müssen zertifiziert sein.
Alleine bei google play erscheinen bei einer einfachen Internetrecherche auf Anhieb 300 „Top Apps“ aus dem Bereich der Medizin. Dies sind beispielsweise eine „DRACO Wund App“ als praktischer Arzt und Pflegebegleiter zur Unterstützung bei der ambulanten Versorgung chronisch rezidivierender Wunden. Hier werden Informationen abgefragt, ausgewertet und die „optimale“ und preisgünstigste Wundversorgung vorgeschlagen, so dass es sich bei dieser App um ein Medizinprodukt der Klasse I handeln dürfte. Jedenfalls einer Zertifizierung als Medizinprodukt bedürfen Diabetes Apps wie Accu-Check Connect oder mySugr Companion Pro, wenn eine Anbindung an Messgeräte möglich ist. Ferner gibt es eine Sehtest App zur regelmäßigen Überprüfung der Sehschärfe. Diese dürfte ebenso wie eine Hörtest App ein Medizinprodukt sein, das zertifiziert werden muss.
Weiterhin gibt es beispielsweise eine „Arztsuche Jameda“, die erlaubt „Unter 275.000 Ärzten in Deutschland den für Sie passenden“ zu finden. Diese App funktioniert ähnlich wie ein Telefonbuch mit Standortübersichten und weitergehend z. B. der Möglichkeit der Terminbuchung, so dass es sich hier schon nach der Zweckbestimmung nicht um ein Medizinprodukt handelt. Eine weitere App „Innere Organe 3D (Anatomie)“, die dreidimensionale Modelle der menschlichen Körperorgane zeigt und beschreibt, die zudem dreidimensional gedreht und gezoomt werden können und das Studium der Medizin oder Biologie ergänzen, ist ebenfalls sicherlich kein Medizinprodukt. Nicht immer ist jedoch die Abgrenzung von Medizinprodukten zu Informations- oder Wellness-Apps einfach.
Aus diesem Grund hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte im Frühjahr 2015 eine Dialogveranstaltung „BfArM im Dialog: Medical Apps“[1] abgehalten und stellt seit Anfang Oktober 2015 auf seiner Homepage eine „Orientierungshilfe Medical Apps“ zur Verfügung[2]. Mit dieser möchte das Bundesinstitut behilflich sein bei der Unterscheidung zwischen einer reinen Wellnessanwendung und einem Medizinprodukt. Herstellern wird eine Anleitung gegeben zur Abgrenzung der Apps anhand der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung, Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung und Werbematerialien anhand möglicher „Anhaltsbegriffe“ bzw. „Anhaltsfunktionen“ und mit Abgrenzungsbeispielen sowie durch eine ausführliche Darstellung hinsichtlich der Risiko-Klassifizierung der Apps.
Als Entwickler einer App ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass Medical Apps, sofern sie als Medizinprodukte zu qualifizieren sind, zwingend mit CE-Kennzeichnung in den Verkehr zu bringen sind und dass Apps, die als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht werden, den gleichen Bestimmungen unterliegen, wie alle anderen Medizinprodukte, u. a. mit der Folge bestimmter Meldeverpflichtungen. Wer ein Medizinprodukt entgegen § 6 Abs. 1 Satz 1 MPG ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr bringt, begeht grundsätzlich gemäß § 41 Nr. 2 MPG eine Straftat.
Dabei ist die Abgrenzung von einer reinen medizinischen Information oder Wellnessanwendung zu einem Medizinprodukt nicht immer einfach. Wann eine Stand-Alone Software wie eine Smartphone – oder Tablet-App ein Medizinprodukt ist, richtet sich nach der grundlegenden Begriffsbestimmung gemäß § 3 Nr. 1 MPG. Danach sind Medizinprodukte „… Software … oder andere Gegenstände einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke
der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten ….zu dienen bestimmt sind …“.
Die Abgrenzung von anderen Produktklassen erfolgt anhand ihrer subjektiven und objektiven Zweckbestimmung[3]. Die Grenzziehung verläuft grundsätzlich dort, wo keine reine Wissensbereitstellung mehr erfolgt und eine formende Einflussnahme auf Daten bzw. Informationen durch die App erfolgt, wobei reine Datenspeicherungen oder Kommunikation noch nicht zu einer Einstufung als Medizinprodukt führt[4]. So soll beispielsweise eine Kalorienzähler-App, damit der Nutzer die perfekte Bikini- oder Badehosenfigur erreicht, ein reines Wellnessprodukt sein, während ein Broteinheiten-Zähler für Diabetiker mit integriertem Vorschlagsrechner für eine Insulingabe ein Medizinprodukt ist und zertifiziert werden muss[5].
Die Klassifizierung von Medizinprodukten erfolgt gemäß § 13 Abs. 1 MPG i. V. m. Anhang VIIII der RL 93/42/EWG. Entsprechend der Regeln 9-12 dürften die meisten Medical Apps der Risikoklasse I und im Übrigen – beispielsweise bei der Diagnose oder Kontrolle von Vitalfunktionen – den Klassen IIa oder IIb angehören.
Weitere Entscheidungshilfen finden sich in der MEDDEV 2.1/6 rev. 1 „Qualification and classification of stand alone software“, einer Leitlinie zur Abgrenzung und Klassifizierung von stand alone software der Europäischen Kommission, die auch weitergehende Hilfestellungen erarbeitet hat, wie beispielsweise das „Commission Staff Working Document on the existing EU legal framework applicable to lifestyle and wellbeing apps“, SWD(2014) 135 final vom 10.04.2014, ein Begleitdokument zu einer weiteren Veröffentlichung der EU zu diesem Thema „Green paper on mobil health („mHealth“)“, COM(2014) 219 final. Auch andere Gesundheitsbehörden haben Abgrenzungshilfen auf ihren Homepages bereitgestellt, wie beispielsweise die MHRA in UK mit ihrer „Guidance – Medical device stand-alone software including Apps“ vom August 2014.
In jedem Fall sollte man sich als Hersteller von Wellness oder Gesundheits-Apps bereits bei der Entwicklung, spätestens jedoch vor der Vermarktung, Gedanken darüber machen, ob eine Zertifizierung als Medizinprodukt der Klasse I, die noch in alleiniger Verantwortung des Herstellers liegt, oder als Medizinprodukt der Klasse IIa oder IIb mit dem Erfordernis der Einschaltung einer Benannten Stelle[6] erforderlich ist.
[1] Veranstaltung vom 24.03.2015, veröffentlicht auf der Homepage des BfArM
[2] http://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Abgrenzung/medical_apps/_node.html
[3] Pharmarecht, Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, 3. Teil „Medizinprodukte“, III., S. 192 ff.
[4] http://www.bfarm.de/DE/Medizinprodukte/Abgrenzung/medical_apps/_node.html
[5] So Dr. Wolfgang Lauer, Leiter der Abteilung Medizinprodukte beim BfArM in einem Interview mit Medizintechnologie.de, 26.10.2015.
[6] Siehe Pharmarecht, Meier/von Czettritz/Gabriel/Kaufmann, 3. Teil: Medizinprodukte, VIII, S. 206 ff.