Der EuGH hat nun entschieden (Rechtssache C‑531/20, Urt. v. 28. April 2022, NovaText GmbH gegen Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg), dass diese Regelung mit der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48 nicht vereinbar ist. Der EuGH beruft sich bei dieser Beurteilung insbesondere auf die Regelung in Art. 14 der Richtlinie, wonach die Prozesskosten in der Regel von der unterlegenen Partei getragen werden, soweit sie zumutbar und angemessen sind und sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.
Da § 140 Abs. 3 Markengesetz die Erstattung in jedem Fall vorsieht (unwiderlegliche Vermutung) und keine Abwägungsentscheidung über Zumutbarkeit, Angemessenheit und Billigkeit enthält, sei die unbedingte Gewährung der Kostenerstattung auch der Patentanwaltskosten europarechtswidrig.
Der EuGH betont, dass in der Regel der Beklagte einer Schutzrechtsverletzung die Kosten des Geschädigten in vollem Umfang zu tragen hat. Allerdings stünde die Gewährung der Erstattung von Kosten des Patentanwalts (wie aller anderen Kosten) unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit und Angemessenheit sowie einer abschließenden Überprüfung anhand von Billigkeitsgründen.
§ 140 Abs. 3 Markengesetz und die entsprechenden Vorschriften des Patent- und Designrechts müssen daher so ausgelegt werden, dass eine Kostenerstattung nur dann stattfindet, wenn die Kosten zumutbar und angemessen sind und Billigkeitsgründen dem nicht entgegenstehen.
Die deutsche Praxis muss sich daher von der relativ unproblematischen und automatischen Kostenerstattung der Patentanwaltskosten, wie allerdings auch der Rechtsanwaltskosten verabschieden. Der EuGH stellt fest, dass sämtliche Kosten unter der Bedingung stehen, dass sie zumutbar und angemessen sind und Billigkeitsgründe nicht entgegenstehen.
Bemerkenswert ist auch der Hinweis des EuGH, dass das Erfordernis der Angemessenheit nicht verlange, dass die unterlegene Partei zwangsläufig sämtliche Kosten der obsiegenden Partei erstatten muss, es jedoch verlange, dass der Anspruch auf die Erstattung wenigstens eines erheblichen und angemessenen Teils der ihr tatsächlich entstandenen zumutbaren Kosten hat und verweist dabei auf das Urteil vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C‑57/15, EU:C:2016:611, Rn. 29.
Damit sind also insgesamt erhebliche Änderungen im Kostenerstattungsrecht vorgezeichnet. Einerseits gibt es keine automatische Erstattung der Patentanwaltskosten mehr, da sie stets unter dem Vorbehalt von Zumutbarkeit, Angemessenheit und Billigkeitsgründen steht.
Andererseits dürfte auch die Regelung der ZPO und des RVG europarechtswidrig sein, wonach nur die gesetzlichen Gebühren nach RVG vom unterlegenen Verletzer zu erstatten sind. Im heutigen Normalfall trifft die Partei mit ihrem Anwalt/Patentanwalt eine Gebührenvereinbarung, die zu einem deutlich höheren Betrag an Anwaltskosten jenseits des RVG führt. Auch diese Anwaltskosten müssen (über die Grenzen des RVG hinaus) zu einem erheblichen und angemessenen Teil unter Berücksichtigung der Billigkeit von der unterlegenen Partei erstattet werden. Nur soweit die nach der Gebührenvereinbarung gezahlten Anwaltskosten unangemessen und unzumutbar sind, scheidet deren Erstattungsfähigkeit aus. Dies bedeutet also, dass die Beträge des RVG nicht mehr die Obergrenze für die Erstattungsfähigkeit tatsächlicher Prozesskosten des Klägers sind.
Damit steht natürlich das ganze pauschalierte Kostenerstattungsrecht im gewerblichen Rechtsschutz unter einem grundlegenden Vorbehalt, den der Gesetzgeber tunlichst aufgreifen und regeln sollte, um ausufernden Diskussionen über die erstattungsfähigen Kosten vorzubeugen.
Einzelne Gerichte haben die Entscheidung des EuGH bereits im Kostenfestsetzungsverfahren angewandt. So hat das OLG Düsseldorf in einem Beschluss vom 13.07.2022 (I-15 W 15/22) in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung, der allerdings eine Patentsache zugrunde lag, die Kosten des mitwirkenden Patentanwalts zurückgewiesen, weil dessen Mitwirkung nicht notwendig gewesen sei. Die Rechtsfragen hätte auch der Rechtsanwalt beurteilen können und müssen. So führt das OLG folgendes aus:
Die Zumutbarkeit der entstandenen Kosten beurteilt sich anhand der zu § 91 ZPO entwickelten Grundsätze. Maßgeblich ist demnach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte (zu § 91 ZPO: BGH NJW 2018, 1693; BGH GRUR 2017, 854 – Anwaltskosten im Gestattungsverfahren; BGH GRUR 2005, 271 – Unterbevollmächtigter III; BGH NJW-RR 2005, 725 mwN). Dies ist der Fall, wenn die Maßnahme zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich bzw. notwendig war.
Diese Auffassung dürfte allerdings von der Rechtsprechung des EuGH nicht gedeckt sein und schüttet das Kind mit dem Bade aus.
Grundsätzlich sehen § 140 Abs. 3 Markengesetz sowie der inhaltlich übereinstimmende § 143 Abs. 3 PatG vor, dass die Patentanwaltskosten zu erstatten sind. Diese Regelung bleibt bestehen. Sie ist allerdings europarechtskonform dahin auszulegen, dass sie unter dem Vorbehalt steht, dass die zu erstattenden Kosten insgesamt für den unterlegenen Verletzer zumutbar und angemessen sind und Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen dürfen.
Eine Prüfung auf die Notwendigkeit der Mitwirkung des Patentanwalts ist vom EuGH nicht vorgeschrieben worden und eine solche Regelung findet sich auch nicht in der Durchsetzungsrichtlinie. Vielmehr müssen sämtliche, dem Schutzrechtsinhaber tatsächlich entstandenen Kosten vom unterlegenen Verletzer getragen werden, wenn diese zumutbar und angemessen sind und Billigkeitsgründen nicht entgegenstehen.
Die vom OLG Düsseldorf vorgesehene Notwendigkeitsprüfung der Mitwirkung des Patentanwalts gibt es daher bei richtlinienkonformer Auslegung des § 143 Abs. 3 PatG nicht.
Vielmehr gilt der Grundsatz aus der EuGH Entscheidung vom 28. Juli 2016, United Video Properties, C‑57/15, EU:C:2016:611, Rn. 29, wonach der verletzte Schutzrechtsinhaber wenigstens einen erheblichen und angemessenen Teil der ihm tatsächlich entstandenen zumutbaren Kosten erstattet verlangen kann.
Es ist daher absehbar, dass die Kostenfestsetzungsverfahren im gewerblichen Rechtsschutz sehr viel komplexer und aufwendiger sein werden, als dies bisher der Fall war. Im Grunde stellt sich auch die Frage, ob der Rechtspfleger überhaupt noch in der Lage ist, die Kostenfestsetzungsverfahren durchzuführen und ob dies nicht eine genuine Aufgabe des entscheidenden Spruchkörpers, also der richterlich besetzten Verletzungskammer sein muss. Die Übertragung des Kostenfestsetzungsverfahrens auf die Rechtspfleger hatte ihre zutreffende Grundlage darin, dass hier ein formalisiertes Verfahren durchzuführen ist, dessen wesentliche Eckpunkte (Kostenquotelungen durch das Gericht und Pauschalen nach RVG) bereits feststehen. Dies wird man von der heutigen Situation so nicht mehr behaupten können.