I. Einleitung
Arzneimittel und Medizinprodukte besitzen bekanntlich definitionsgemäß eine gleiche Zweckbestimmung. Beide dienen dem Ziel der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten. § 2 AMG definiert die Arzneimittel und unterscheidet Präsentationsarzneimittel gemäß Abs. 1 Nummer 1 AMG und Funktionsarzneimittel gemäß Abs. 1 Nummer 2 a AMG sowie Diagnostika gemäß Abs. 1 Nummer 2 b AMG.
§ 2 Abs. 5 MPG bestimmt, spiegelbildlich zu § 2 Abs. 3 AMG, was nicht zum Anwendungsbereich des Medizinproduktegesetzes gehört, nämlich Arzneimittel i. S. d. § 2 AMG, wobei die Entscheidung darüber, ob ein Produkt ein Arzneimittel oder Medizinprodukt ist, insbesondere unter Berücksichtigung der hauptsächlichen Wirkweise des Produktes erfolgt, es sei denn es handelt sich um ein Arzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1 Nummer 2 Buchstabe b des Arzneimittelgesetzes (Diagnostika).
Seit Jahren ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgericht Köln und OVG NRW, dass stoffliche Medizinprodukte nicht nach objektiven wissenschaftlichen Kriterien dem Arzneimittelregime unterstellt werden, sondern mit der Argumentation, sie präsentierten sich wie ein Arzneimittel und da die Wirkweise nicht hinreichend geklärt werden könne, seien sie über die Zweifelsfallregelung dem Arzneimittelregime zu unterstellen.
Tatsächlich wurde der Begriff des Präsentationsarzneimittels vom EuGH entwickelt, um im Bereich der Lebensmittel und Arzneimittel eine Abgrenzung vornehmen zu können. Bei der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten kann es aber nicht auf die Präsentation der therapeutischen Wirkung ankommen und ein zutreffend nach den Vorgaben des MPG gekennzeichnetes Produkt nicht über den Präsentationsarzneimittelbegriff dem Arzneimittelregime unterstellt werden. Vielmehr ist es bei der Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten die Hauptwirkung des streitgegenständlichen Produkts wissenschaftlich zu klären.
In einer mündlichen Verhandlung vom 20.05.2021 hat das Bundesverwaltungsgericht nun beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die hier zu entscheidenden Fragen- insgesamt 4 – zur Abgrenzung stofflicher Medizinprodukte von den Arzneimitteln dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt.
II. Sachverhalt
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ein Feststellungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gemäß § 21 Abs. 4 AMG, wonach das von der Klägerin als Medizinprodukt in Verkehr gebrachte Nasenspray ein zulassungspflichtiges Arzneimittel sei.
Das BfArM hat das streitgegenständliche Präparat als Präsentationsarzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1 Nummer 1 AMG angesehen und hierüber dem Arzneimittelregime unterstellt, eine nach Auffassung der Klägerin ungeeignete Abgrenzung zum stofflichen Medizinprodukt i. S. d. § 3 Nummer 1 Buchstabe a MPG.
Die hiergegen erhobenen Klagen sind sowohl vor dem Verwaltungsgericht Köln als auch dem OVG NRW erfolglos geblieben mit der Begründung, dass der Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nummer 1 AMG auch dann Anwendung findet, wenn das fragliche Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt nach § 3 Abs. 1 Buchstabe a MPG auf den Markt gebracht wird.
Die Entscheidung des OVG NRW beruht auf der Feststellung, dass sich das streitgegenständliche Produkt seiner Aufmachung nach als Präsentationsarzneimittel erweist und der Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nummer 1 AMG auch dann Anwendung finde, wenn das fragliche Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt nach § 3 Abs. 1 Buchstabe a) MPG auf den Markt gebracht wird.
III. Beschluss
Vor dem Hintergrund der europarechtlichen Fragestellungen hat das BverwG nun in dem Revisionsverfahren das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die nachfolgenden vier Fragen vorgelegt:
1. Kann die bestimmungsgemäße Hauptwirkung eines Stoffs auch dann im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG pharmakologisch sein, wenn sie nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruht und die Substanz vom menschlichen Körper auch nicht absorbiert wird, sondern an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibt und dort reagiert? Nach welchen Kriterien sind in einem solchen Fall pharmakologische und nicht pharmakologische, insbesondere physikalisch-chemische Mittel zu unterscheiden?
2. Kann ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG angesehen werden, wenn die Wirkweise des Erzeugnisses nach dem Stand der Wissenschaft offen ist und deshalb nicht abschließend geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf pharmakologischen oder physikalisch-chemischem Wege erzielt wird?
3. Ist in einem solchen Fall die Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel oder Medizinprodukt auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung auch seiner sonstigen Eigenschaften und aller weiteren Umstände vorzunehmen oder ist das Erzeugnis, wenn es zur Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, als Präsentationsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG anzusehen unabhängig davon, ob eine spezifisch arzneiliche Wirkung in Anspruch genommen wird oder nicht?
4. Gilt auch in einem solchen Fall nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG der Vorrang des Arzneimittelregimes?
Die EuGH-Entscheidung darf mit Spannung erwartet werden, ist doch damit die Hoffnung verbunden, dass sodann die langjährige Streitfrage der Anwendbarkeit des Präsentationsarzneimittels auf Medizinprodukte als auch die Frage der Anwendbarkeit der Zweifelsfallregelung in solchen Fällen gelöst sein wird.
Möglicherweise befasst sich der EuGH auch weitergehend mit einer Definition einer pharmakologischen Wirkung, die bislang nach wie vor nicht geeignet ist, zahlreiche Grenzfälle einer einheitlichen zufriedenstellenden Lösung zuzuführen.
Vielleicht gibt es dann für die Zukunft auch weitere Abgrenzungskriterien, wenn die bisherigen Definitionen und Abgrenzungskriterien nicht weiterhelfen, denn die Fragen bleiben auch unter der MDR aktuell.