Die Werbung mit Begriffen wie „nachhaltig“ „CO₂-neutral“, „klimaneutral“ und ähnlichem nimmt kontinuierlich zu. In der Folge haben auch die Gerichte sich zunehmend mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen entsprechende Claims zulässig sind.
1. Aktuelle Rechtslage
Bislang fehlen Sonderreglungen für die Werbung mit sog. Green Claims. Werbeaussagen, die auf eine besondere Klimafreundlichkeit von Produkten oder Unternehmen Bezug nehmen, sind daher derzeit am allgemeinen Irreführungsgebot der §§ 5, 5a UWG zu messen.
Nach § 5 UWG ist eine Werbung verboten, wenn sie den Verbraucher irreführt und ihn zu einer Entscheidung veranlasst, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Das umfasst nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der beworbenen Ware wie unter anderem das Verfahren der Herstellung. § 5a UWG verbietet eine Irreführung durch Unterlassen in Form des Vorenthaltens wesentlicher Informationen, die der Verbraucher benötigt, um eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, und deren Vorenthalten dazu geeignet ist, ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte.
Die bisher veröffentlichten Urteile zur Frage der Irreführung durch Green Claims weisen eine große Bandbreite auf, lassen aber nach und nach gewisse Grundlinien erkennen. Neuere Entscheidung des OLG Düsseldorf, des OLG Frankfurt a.M. und des LG Karlsruhe veranschaulichen das.
a. OLG Düsseldorf, GRUR 2023, 1207 – Klimaneutrale Marmelade
Das OLG Düsseldorf hatte über die Bewerbung einer Marmelade zu entscheiden, die unter anderem mittels eines auf der Schauseite aufgebrachten Störers als „klimaneutrales Produkt“ angepriesen worden war:
Das LG Mönchengladbach hatte in erster Instanz eine Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG angenommen. Die Verbraucher verstünden die Angaben so, dass die Marmelade klimaneutral hergestellt werde und nicht (nur) so, dass das während der Herstellung des Produkts anfallende CO₂ durch nachträgliche Maßnahmen kompensiert und damit bilanziell eine Klimaneutralität erreicht werde.
Dem ist das OLG Düsseldorf zumindest in der Begründung nicht gefolgt. Der Begriff „klimaneutral“ werde nicht zwingend im Sinne eines emissionsfreien Herstellungsprozesses verstanden. Vielmehr werde der Durchschnittsverbraucher den Begriff im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO₂-Emissionen des Unternehmens verstehen, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könne (so auch OLG Schleswig, GRUR 2022, 18341 – klimaneutrale Müllbeutel II). Eine Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG liege daher nicht vor.
Das OLG Düsseldorf hat allerdings eine Irreführung durch Unterlassen im Sinne des § 5a Abs. 1 und Abs. 2 UWG angenommen. Gerade weil der Verbraucher wisse, dass eine ausgeglichene Klimabilanz auch durch Kompensationszahlungen erreicht werden könne, bestehe ein Interesse an einer Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verkehr gehe beispielsweise nicht davon aus, dass ein Unternehmen, das sich oder sein Produkt als „klimaneutral“ bezeichnet, allein auf Ausgleichsmaßnahmen Dritter bzw. auf den Kauf von Zertifikaten setze, da der Zertifikatehandel und andere Kompensationsmöglichkeiten – jedenfalls aus Verbrauchersicht – in dem Verdacht stehen, das betreffende Unternehmen betreibe nur sog. „Greenwashing“, ohne dass der Klimaschutz tatsächlich maßgeblich verbessert wird. Der Verbraucher habe daher ein erhebliches Interesse an der Information, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder nur durch den Erwerb von CO₂-Zertifikaten bzw. durch die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter. Daran fehle es vorliegend. Weder die Anzeige noch die Produktverpackung enthielten einen Hinweis darauf, wie die behauptete Klimaneutralität erreicht werden solle. Soweit die Beklagte geltend mache, entsprechende Erläuterungen fänden sich auf ihrer sowohl in der Werbung als auch auf der Verpackung angegebenen Internetseite, reiche das nicht aus, da es an einem Hinweis in der Werbung bzw. auf der Packung (wie etwa „Näheres unter …“) fehle, dass nähere Angaben zur Klimaneutralität auf der Website verfügbar sind.
b. OLG Düsseldorf, GRUR-RS 2023, 16069 – schmeckt auch unserem Klima
In einem Parallelverfahren vor dem OLG Düsseldorf hatte die dortige Beklagte ebenfalls mit dem Begriff „Klimaneutral“ und dem Logo einer Zertifizierungsstelle geworben:
Auch in diesem Verfahren hat das OLG Düsseldorf angenommen, dass eine Aufklärung darüber, ob die beworbene Klimaneutralität durch eigene Einsparmaßnahmen oder (nur) durch Kompensation erreicht werde, nach § 5a UWG erforderlich sei. In diesem Fall hat es die Aufklärung in der Werbung aber als ausreichend angesehen. Zwar erfolge die erforderliche Information erst, wenn der Leser der Anzeige entweder über den QR-Code oder durch direkte Eingabe die in der Werbung genannte Website von „ClimatePartner.com“ aufsucht. Das reiche allerdings zur Information der Verbraucher aus, da bei der Beurteilung, ob wesentliche Informationen vorenthalten werden, räumliche Beschränkungen durch das gewählte Kommunikationsmittel zu berücksichtigen seien (§ 5a Abs. 3 UWG). Zwar genüge die Angabe „Klimaneutralität wird auch durch Kompensation erreicht“ allein nicht, da der Verbraucher nähere Angaben zu Art und Umfang etwaiger Kompensationsleistungen benötige. Da dafür in einer Zeitungsanzeige der Platz fehle, sei der Verweis auf eine Website zur Aufklärung aber ausreichend, sodass eine Irreführung durch Unterlassen nicht vorliege.
c. OLG Frankfurt a.M., GRUR 2023, 177 – klimaneutral
In einem vom OLG Frankfurt a.M. entschiedenen Fall ging es (unter anderem) ebenfalls um eine Werbung mit einem „klimaneutral“-Logo einer privaten Zertifizierungsstelle, diesmal auf einer Unternehmenswebsite:
Das Logo war als Link ausgestaltet, über den man zu einer Unterseite gelangte, auf der nähere Erläuterungen zur Zertifizierung zu finden waren. Über einen weiteren Link gelangte man von dort zu der Startseite der Zertifizierungsstelle, auf der wiederum weitere Informationen abrufbar waren.
Das OLG Frankfurt a.M. hat diese Werbung – anders als die Vorinstanz – nicht als irreführend im Sinne des § 5a UWG angesehen. Der Begriff „klimaneutral“ sei für den verständigen Durchschnittsverbraucher schon aus sich heraus verständlich und habe – anders als etwa der Begriff „umweltfreundlich“ – einen bestimmten Inhalt. Der Durchschnittsverbraucher werde den Begriff im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO₂-Emissionen des Unternehmens verstehen, wobei ihm bekannt sei, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen erreicht werden könne. Gleichwohl bestehe aber ein Interesse an einer Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität, insbesondere darüber, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder (nur) durch den Erwerb von CO₂-Zertifikaten bzw. die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter.
Nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. ist daher bei einer Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ eine Aufklärung darüber erforderlich,
Eine Aufklärung über weitere Details der Klimabilanzierung, etwa über den Umfang von Reduzierungsmaßnahmen im Verhältnis zum ermittelten Ausstoß oder über den Gegenstand des zur Kompensation unterstützten Klimaprojekts, sei dagegen nicht erforderlich.
Den Anforderungen an die Aufklärung ist die angefochtene Werbung nach Auffassung des OLG Frankfurt a.M. gerecht geworden. Die notwenigen Angaben würden sich zwar nicht unmittelbar auf der Internetseite, die das Siegel „klimaneutral“ trägt, finden. Das sei aber auch nicht erforderlich. Es reiche aus, dass der Verbraucher über den Link zu einer Unterseite des Internetauftritts gelange, auf der die Zertifizierung näher erläutert wird.
d. LG Karlsruhe, GRUR-RS 2023, 18341 – Umweltneutrales Produkt
In einem vom LG Karlsruhe entschiedenen Fall ging es unter anderem um die Bewerbung einer Flüssigseife mit einem „Klimaneutral“-Siegel mit den Zusätzen „ClimatePartner.com/14938-2008-1001“ und „Produkt CO₂-kompensiert“ sowie einer Sonnenmilch mit demselben „Klimaneutral“-Siegel allerdings ohne weitere Zusätze:
Das LG Karlsruhe hat zunächst geprüft, ob dem Verbraucher wesentliche Informationen vorenthalten werden (§ 5a UWG). Als wesentlich in diesem Sinne sieht das Gericht Informationen darüber an
Bei beiden Produkten ergebe sich bereits aus dem jeweiligen Packungsaufdruck, dass der Weg der Kompensation gewählt wurde. Bei der Flüssigseife werde diese Information unmittelbar bei dem Logo der Zertifizierungsstelle auf der Vorderseite gegeben, bei der Sonnenmilch in einem Erläuterungskasten auf der Rückseite. Die weiteren als wesentlich erkannten Informationen fänden sich auf den Packungsaufdrucken dagegen nicht. Allerdings erhalte der Verbraucher diese Informationen auf den Internetseiten der Zertifizierungsstelle. Dem Verbraucher müsse aber aus der Gestaltung der Werbung erkennbar werden, dass und wo er diese Informationen abrufen kann. Das sei nur bei der Flüssigseife der Fall, auf der eine konkrete Website, auf der die Informationen abrufbar sind (ClimatePartner.com/14938-2008-1001), angegeben werde. Bei der Sonnenmilch finde sich dagegen nur der Hinweis „ClimatePartner /14938-2008-1001“. Es fehle also ein Verweis auf eine konkrete Website, sodass bereits ein Verstoß gegen § 5a UWG anzunehmen sei.
Das LG Karlsruhe sieht allerdings unabhängig von der Aufklärung der Verbraucher über die Frage, wie die Klimaneutralität erreicht wird, eine (aktive) Irreführung im Sinne des § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG, da die ausgelobte Klimaneutralität durch die von der Beklagten bzw. der Zertifizierungsstelle gewählte Kompensationsmaßnahme von vornherein nicht erreicht werden könne.
Der Claim der Klimaneutralität gehe prinzipiell über das hinaus, was mittels CO₂-Zertifikaten aus Waldschutz erreichbar sei. Die produktbedingten, anthropogenen, zusätzlichen CO₂-Emissionen seien hunderte oder tausende Jahre nachweisbar. Gebunden und gespeichert werde die entsprechende Menge an CO₂ durch das konkrete Waldschutzprojekt aber nur für Jahrzehnte. Danach sei die vorübergehend ausgeglichene CO₂-Bilanz des Produkts wieder unausgeglichen. Um sie dauerhaft auszugleichen, müssten kontinuierlich – auch in 100 oder 1000 Jahren – weitere entsprechende Waldschutzbemühungen unternommen werden. Das hier fragliche Projekt in Peru laufe jedoch nur bis 2040. Die Beklagte verspreche daher mit ihrer Werbung ein klimaneutrales Produkt, könne dieses Versprechen aber nicht einlösen. Das sei irreführend im Sinne des § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG.
e. Fazit
Der derzeitige Stand der Rechtsprechung lässt sich danach wie folgt zusammenfassen:
Das OLG Düsseldorf hat in beiden oben dargestellten Entscheidung die Revision zugelassen. Zumindest in einem dieser Verfahren ist bekannt, dass die klagende Wettbewerbszentrale auch Revision eingelegt hat, sodass der BGH Gelegenheit haben wird, sich zu den Anforderungen an Claims zur Klimaneutralität zu äußern. Es bleibt abzuwarten, ob er sich der Auffassung des OLG Düsseldorf und des OLG Frankfurt a.M. anschließt oder der strengeren Linie des LG Karlsruhe folgt.
2. Neue Regelungsvorschläge der EU
Die EU-Kommission hat am 22.03.2023 neue Regelungsvorschläge vorgestellt, mit denen – sollten sie in dieser Form umgesetzt werden – die Vorgaben für die Werbung mit Begriffen wie „Klimaneutral“ und „Co₂-neutral“ erheblich verschärft und dem sog. „Greenwashing” einen Riegel vorgeschoben werden soll. Die Vorschläge der Kommission umfassen zum einen eine neue Green Claims-Richtlinie, zum anderen Ergänzungen der UGP-Richtlinie und der Verbraucherrechterichtlinie.
Nach dem Vorschlag für eine sog. Green-Claims-Richtlinie („Vorschlag für eine Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation (Richtlinie über Umweltaussagen)“, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM%3A2023%3A0166%3AFIN) sollen Unternehmen, die freiwillige Umweltaussagen über ihre Produkte oder Dienstleistungen machen, Mindeststandards einhalten müssen, die sich sowohl darauf beziehen wie diese Aussagen zu belegen sind, als auch darauf, wie sie kommuniziert werden. Umweltbezogene Aussagen sollen grundsätzlich nur dann zulässig sein, wenn sie unabhängig überprüft und anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegt werden. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, entsprechende Prüfsysteme einzurichten. Umweltaussagen, die unter bestehende EU-Vorschriften, insbesondere das EU-Umweltzeichen oder das EU-Bio-Logo, fallen, sollen allerdings von der Regelung ausgenommen sein.
Ergänzend zu der Green-Claims-Richtlinie soll (unter anderem) die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie), die in Deutschland im UWG umgesetzt ist, um zusätzliche verbotene Praktiken ergänzt werden („Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinien 2005/29/EG und 2011/83/EU hinsichtlich der Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und bessere Informationen“, abrufbar unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52022PC0143). Danach sollen
Daneben sieht der Richtlinienvorschlag auch eine Ergänzung der Verbraucherrechterichtlinie um Verbote vor, die sich auf die Benutzung von nicht-originalen Verbrauchsmaterialien und Ersatzteile sowie die sog. geplante Obsoleszenz beziehen. Stets unzulässig sollen danach unter anderem sein
3. Ausblick
Es bleibt abzuwarten, ob die Vorschläge der Kommission 1:1 umgesetzt werden oder im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch Änderungen erfahren. Man wird aber wohl in jedem Fall von einer erheblichen Verschärfung der Vorgaben für die Werbung mit Umweltclaims ausgehen müssen. Da noch das gesamte Gesetzgebungsverfahren durchlaufen werden muss und die Richtlinienvorschläge (derzeit) Umsetzungsfristen von 18 Monaten vorsehen, wird noch etwas Zeit ins Land gehen, bevor die neuen Regelungen tatsächlich greifen. Gleichwohl ist es für Unternehmen, die Green Claims in der Werbung nutzen wollen, sinnvoll, sich bereits jetzt mit den zukünftigen Anforderungen und Verboten auseinanderzusetzen und auf die neuen, strengeren Regeln zur Umweltwerbung einzustellen.
Im Übrigen bleibt den Werbenden nur, die Entwicklung der Rechtsprechung zu Green Claims aufmerksam zu verfolgen und sich so weit wie möglich an dem jeweiligen Stand der Rechtsprechung zu orientieren. Insbesondere bei Werbeclaims, die unmittelbar auf einem Produkt aufgebracht werden, ist aufgrund der (noch) divergierenden Rechtsprechung zu Zurückhaltung zu raten.