Seit ihrer Errichtung 1993 hat die europäische Arzneimittelagentur EMA kontinuierlich an einer höheren Transparenz ihrer Arbeitsabläufe durch Veröffentlichung einer Fülle an Informationen gearbeitet. Kaum eine andere Verwaltungseinheit veröffentlicht eine vergleichbare Menge an Informationen und die EMA ist seit jeher bemüht, alle Stadien des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren abzudecken.
I. Einleitung
Bis ins Jahr 2010 war dabei die Veröffentlichungspolitik der EMA davon geprägt, dass Anfragen zu Informationen aus Zulassungsdossiers generell zurückgewiesen wurden und diese insoweit als vertrauliche Informationen des Zulassungsinhabers eingestuft wurden.
Die änderte sich schlagartig im November 2010, als die EMA begann, auch Informationen aus Zulassungsdossiers (vollständige klinische Datensätze) als nicht vom Betriebsgeheimnis umfasste, schützenswerte Information anzusehen und herauszugeben.
Für diese Transparenzpolitik beruft sich die EMA auf Erwägungsgrund 1 und 2 der VO (EG) 1049/2001 vom 30.05.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission. In Art. 73 der VO (EG) 726/2004 zur Errichtung der EMA ist die Anwendung dieser Verordnung auch auf die Dokumente der europäischen Arzneimittelagentur geregelt.
Erwägungsgrund 1 und 2 zur Begründung eines möglichst freien Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten lauten wie folgt:
„In Art. 1 Abs. 2 des Vertrags über die Europäische Union …, ist das Prinzip der Transparenz verankert.
Transparenz ermöglicht eine bessere Beteiligung der Bürger am Entscheidungsprozess und gewährleistet eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System. Transparenz trägt zur Stärkung der Grundrechte der Demokratie und der Achtung der Grundrechte bei, die in Art. 6 des EU-Vertrags und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind.“
II. Historische Entwicklung
Am 30.11.2010 hat die EMA ihre „European medicines Agency policy on access to documents (related to medicinal products for human and veterinary use) – Policy/0043“ veröffentlicht und im Zuge dessen begonnen, öffentlichen Zugang zu Dokumenten zu gewähren, die Teil des Zulassungsdossiers pharmazeutischer Unternehmer sind und dabei auch Daten aus klinischen Studien herausgegeben.
Es folgten eine Reihe weiterer EMA Policys zum freien Zugang von Dokumenten, unter anderem im Oktober 2014 die „European Medicines Agency Policy on publication of clinical data for medicinal products for human use–Policy/0070“ .
Gleich zu Beginn wird hier in der Einleitung zu Sinn und Zweck der Policy festgestellt, dass das Ziel der EMA einerseits der Schutz und die Förderung der öffentlichen Gesundheit ist und für die Agentur andererseits die Transparenz bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen für Patienten und Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist.
Diese EMA Policy wird teilweise als Vorgriff auf die Regelungen der neuen EU-Verordnung zu klinischen Prüfungen, die am 27.05.2014 formal in Kraft getreten ist, gesehen. Auch diese Verordnung sieht weitreichende Transparenz vor, ist allerdings noch nicht wirksam, da sie einige Neuerungen fordert, für die die technischen Vorbereitungen nach wie vor noch nicht erfüllt sind. Mit einem Inkrafttreten wird derzeit frühestens 2019 gerechnet.
Das Zusammenspiel aus der EU-Verordnung zu klinischen Prüfungen und der EMA Policy soll sicherstellen, dass alle klinischen Studien, die im Rahmen von Zulassungsverfahren vorgelegt werden, grundsätzlich auch der Öffentlichkeit zugänglich sind.
Dieser Transparenz ganzer klinischer Studien und Zulassungsdossiers, die von der EMA und Wissenschaftlern sehr begrüßt wird , wird von den betroffenen pharmazeutischen Unternehmern, die viel Zeit und viel Geld in klinische Studien und ihre Zulassungsdossiers stecken, wenig Verständnis entgegengebracht. Mehrere Versuche, sich gerichtlich hiergegen zur Wehr zu setzen, waren allerdings bislang kaum von Erfolg gekrönt.
Drei Hauptsacheverfahren vor dem europäischen Gericht wurden aktuell am 05.02.2018 zu Gunsten der Transparenzpolitik der EMA entschieden.
III. Die Entscheidungen des europäischen Gerichts vom 05.02.2018
In den drei folgenden Fällen
– MSD Animal Health Innovation GmbH, Intervet International B.V. gegen European Medicines Agency, Rechtssache T-729/15,
– PTC therapeutics International ltd, European Confederation of Pharmaceutical Entrepreneurs (EUCOPE) gegen European Medicines Agency, Rechtssache T- 718/15, und
– PARI Pharma GmbH gegen European Medicines Agency, Rechtssache T-235/15
hat das europäische Gericht am 05.02.2018 des Vorgehen der EMA zur Veröffentlichung klinischer Daten aus Zulassungsdossiers als grundsätzlich rechtmäßig beurteilt.
In diesen Gerichtsverfahren hatten sich die Parteien jeweils gegen die Veröffentlichung von klinischen und nichtklinischen Studienberichten gewehrt und vorgetragen, dass diese als Betriebsgeheimnisse zu qualifizieren sind und dementsprechend nicht herausgegeben werden dürfen.
Nach Ansicht der Kläger fällt die Gesamtheit der Informationen in den CHMP-Berichten – insbesondere die geschützten vertraulichen Rohdaten, die Zusammenstellung öffentlich zugänglicher klinischer Daten und die Analyse dieser Daten durch verschiedene Dritte – sowie die allgemeinen Zulassungsüberlegungen – unter eine allgemeine Vertraulichkeitsvermutung. Die Kläger machen geltend, dass der Schutz der Vertraulichkeit sich nicht nur auf die besonders sensiblen Teile der Berichte erstrecken sollte, sondern auf die Berichte als solche, weil die sensiblen Teile in eine Reihe von Argumenten eingebettet sind, wozu auch Fragen im Zusammenhang der eigenen Strategie gehören und die mit anderen öffentlichen Elementen der Berichte ein untrennbares Ganzes von wirtschaftlichem Wert bilden.
In allen drei Fällen hat das Gericht mit der gleichen Argumentation eine generelle Annahme der Vertraulichkeit solcher Dokumente abgelehnt. Es hat festgestellt, dass nach Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Bestimmungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu EMA-Dokumenten für alle Dokumente dieser Agentur in allen ihren Tätigkeitsbereichen gelten, d.h. für alle von ihr erstellten oder erhaltenen Dokumente, die sich in ihrem Besitz befinden. Außerdem solle diese Verordnung dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Organe die größtmögliche Wirkung verleihen, auch wenn dieses Recht bestimmten Beschränkungen aufgrund öffentlicher oder privater Interessen unterliegt. Anders als bei streitigen Dokumenten aus laufenden Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, herrsche in den Verordnungen Nr. 726/2004 und 1049/2001 der Grundsatz des öffentlichen Zugangs zu Informationen vor. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur die in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 genannten Ausnahmen, einschließlich der Ausnahme für vertrauliche Geschäftsinformationen.
In Anbetracht des Erfordernisses einer strikten Auslegung stellt das EuG fest, dass der Unionsgesetzgeber implizit davon ausgegangen sei, dass die Integrität des Zulassungsverfahrens in Ermangelung einer solchen Vertraulichkeitsvermutung nicht beeinträchtigt wird. Nach alledem könne keine allgemeine Vermutung der Vertraulichkeit der CHMP-Berichte bestehen.
Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass diese Berichte einer allgemeinen Vermutung der Vertraulichkeit unterliegen, derart, dass sie grundsätzlich und in ihrer Gesamtheit eindeutig durch die Ausnahme zum Schutz der geschäftlichen Interessen der Antragsteller abgedeckt seien. Alleine der wirtschaftliche Wert des Dossiers genüge nicht, dieses grundsätzlich als Geschäftsgeheimnis und damit vertraulich einzustufen. Vielmehr sei es Sache der EMA, sich durch eine konkrete, individuelle Prüfung jedes einzelnen Dokuments der Verwaltungsakte zu vergewissern, ob das Dokument im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 ausnahmsweise unter das Geschäftsgeheimnis fällt. Hierzu muss der Inhaber des Dossiers detailliert vortragen und begründen inwieweit sich ein mögliches Geschäftsrisiko durch die Veröffentlichung tatsächlich verwirklicht. Die rein hypothetische Möglichkeit genügt nach Auffassung des EuG ausdrücklich nicht.
Somit ist der derzeitige Status Quo, dass Zulassungsdossiers in ihrer Gesamtheit grundsätzlich nicht als vertrauliche Dokumente anzusehen sind und eine Nicht-herausgabe die Ausnahme sein soll. Wie mit jeder Ausnahmeregelung ist das Gericht der Auffassung, dass diese eng auszulegen und entsprechend streng anzuwenden ist.
Dementsprechend freudig hat die EMA in einer Presseveröffentlichung am 06.02.2018 erklärt: „Das Gericht Erster Instanz bestätigt den Transparenzansatz der EMA“ und hebt hervor, dass in allen drei Gerichtsverfahren festgestellt worden sei, dass das Vorgehen der EMA gemäß der EMA Policy aus 2010 on access to documents als zulässig bestätigt wurde.
IV. Ausblick
Nach dieser erstinstanzlichen Rechtsprechung ist somit das Zulassungsdossier grundsätzlich nicht als geheimhaltungspflichtig einzustufen und der pharmazeutische Unternehmer muss detailliert hinsichtlich bestimmter Passagen des Dossiers, die er nicht veröffentlicht haben möchte, substantiiert begründen, weshalb gerade diese Passagen geheimhaltungsbedürftige Daten beinhalten, hinsichtlich derer das Interesse des Unternehmens an der Nichtveröffentlichung überwiegt.
Nach Auffassung des EuG sind hier strenge Anforderungen zu stellen und jede Schwärzung ausführlich zu begründen, da es sich um eine Ausnahmeregelung zum Grundsatz der Transparenz handelt.
Alle drei Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig.