Der mündlichen Verhandlung dieses Falles wurde in der Fachwelt mit Spannung entgegengesehen, da erwartet wurde, dass der Bundesgerichtshof von der Möglichkeit Gebrauch machen würde, umfangreiche Hinweise im Hinblick auf die Auslegung der EuGH-Entscheidung Huawei ./. ZTE (Aktenzeichen C-170/13) in Deutschland zu geben und in diesem Zusammenhang die Anforderungen, die an eine erfolgreiche FRAND-Verteidigung in Deutschland zu stellen sind, umfassend zu erläutern.
Eine Vielzahl derzeit noch ungeklärter Fragen zur Auslegung der EuGH-Entscheidung Huawei ./. ZTE wurde jedoch in der mündlichen Verhandlung des BGH nicht behandelt. Die in der mündlichen Verhandlung geführte Diskussion bezog sich praktisch nur auf das Erfordernis des „willigen Lizenznehmers“ sowie (hiermit im Zusammenhang stehend) der „Verzögerungstaktik“ und erörterte lediglich einen bestimmten Aspekt im Hinblick auf das Merkmal der Diskriminierung. Der Kartellsenat schien in seiner Beurteilung der FRAND-Verteidigung allerdings schon von Beginn der mündlichen Verhandlung an sehr sicher zu sein und entschied bereits am Abend des 5. Mai 2020 zu Gunsten von Sisvel.
Der Vorsitzende Richter des Kartellsenats, Herr Prof. Dr. Meier-Beck, betonte in der mündlichen Verhandlung zunächst, dass der Kartellsenat die FRAND-Verteidigung als eine Verteidigung ansieht, die grundsätzlich allen Nutzern standardessentieller Patente (SEPs) zur Verfügung steht, sofern das jeweilige SEP seinem Inhaber eine marktbeherrschende Stellung verleiht. Das angegriffene (bereits ausgelaufene) SEP (deutscher Teil des Europäischen Patents EP 0 852 885; ausgelaufen im September 2016) wurde vom Kartellsenat als essentiell für den GPRS-Standard angesehen und Meier-Beck betonte in diesem Zusammenhang, dass der Kartellsenat keinen Zweifel daran hat, dass ein für den GPRS-Standard essentielles Patent eine marktbeherrschende Stellung verleiht.
Meier-Beck betonte weiterhin, dass Art. 102 AEUV nur verlangt, dass der SEP-Inhaber eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu erteilen hat und dass diese Lizenzierungspflicht endet, wenn offensichtlich wird, dass der SEP-Nutzer nicht bereit ist, einen solchen FRAND-Lizenzvertrag abzuschließen.
Als Randbemerkung erwähnte Herr Meier-Beck aber auch, dass ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorliegen kann, wenn der SEP-Inhaber bestimmte Informationen, die der SEP-Nutzer zur Feststellung der FRAND-Konformität des Lizenzangebots benötigt, nicht offenlegt. Der Senat wäre insofern geneigt, dem SEP-Inhaber diesbezüglich eine „sekundäre Beweislast“ aufzuerlegen.
Meier-Beck ging im Anschluss auf den nach Ansicht des Senats entscheidenden Aspekt des Falls ein. Er legte dar, dass der SEP-Nutzer die Bereitschaft zum Abschluss eines „Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen“ deutlich machen müsse. In diesem Zusammenhang verwies er u.a. auf die Bemerkung von Judge Birss in der Entscheidung des UK High Court Unwired Planet vs. Huawei [2017] EWHC 711 (Pat) und zitierte den Passus: „“ready to take a license on whatever terms are in fact FRAND”.
Im vorliegenden Fall habe Haier diese Anforderung allerdings nach der vorläufigen Meinung des Senats nicht erfüllt. Die erste E-Mail, in der Haier auf Sisvels ursprüngliche Lizenzanfrage geantwortet hat, wurde von Haier mit erheblicher Verzögerung versandt. Ferner wurde in der ersten E-Mail von Haier nicht betont, dass Haier bereit sei, eine „Lizenz zu FRAND-Bedingungen“ zu nehmen. Dieses anfängliche Verhalten löse insofern einen „kritischen Blick“ auf das spätere Verhalten des SEP-Nutzers in Bezug auf das Merkmal der „Verzögerungstaktik“ aus. Bei Anwendung dieses „kritischen Blicks“ könnte im Ergebnis nicht davon ausgegangen werden, dass Haiers Verhalten im FRAND-Verhandlungsprozess den (insofern angemessenen) hohen Standard eines willigen Lizenznehmers erfülle.
Haier bestritt in der mündlichen Verhandlung (durchaus energisch) die Richtigkeit der Ansicht des Senats und verwies insoweit auf kulturelle Unterschiede im Kommunikationsstil sowie auf die Tatsache, dass Haier im Verhandlungsprozess FRAND-Gegenangebote vorgelegt habe.
Die sich anschließende Diskussion über den Diskriminierungsaspekt des Falls konzentrierte sich auf einen einzigen, von Sisvel mit einer anderen chinesischen Firmengruppe in Bezug auf das Wireless-Portfolio geschlossenen Vertrag (das ursprüngliche Lizenzangebot von Sisvel bezog sich auf die Patente des Wireless-Portfolios).
Sisvel hatte in zweiter Instanz vor dem Düsseldorfer Berufungsgericht behauptet, dass die chinesische Regierung Druck ausgeübt habe, um Sisvel zu zwingen, einen Lizenzvertrag mit der chinesischen Unternehmensgruppe zu schließen, dessen Lizenzgebühren weit unter den angemessenen (FRAND) Lizenzgebühren liegen würden. Das OLG Düsseldorf hatte in diesem Zusammenhang in erster Instanz entschieden, dass Sisvel aufgrund dieses zuvor abgeschlossenen Lizenzvertrags (den Sisvel im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens in zweiter Instanz offenlegen musste) Haier diskriminieren würde. Den Einwand der Druckausübung durch die chinesische Regierung hatte das OLG Düsseldorf in diesem Zusammenhang als unsubstantiiert zurückgewiesen.
Es schien als wolle sich der Kartellsenat in der mündlichen Verhandlung nicht endgültig zu den Auswirkungen einer solchen (angeblichen) Druckausübung durch eine ausländische Regierung positionieren. Meier-Beck bemerkte jedoch, dass der Senat, wenn es stimme, dass Druck ausgeübt wurde, geneigt wäre, einen solchen FRAND-Lizenzvertrag bei der Prüfung des FRAND-Diskriminierungsaspekts außer Acht zu lassen.
Die Begründung der Entscheidung des BGH wird in einigen Wochen veröffentlicht. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH diesen Fall als besonderen Einzelfall betrachtet oder ob der BGH die Messlatte für die vorgerichtliche Kommunikation eines SEP-Nutzers generell deutlich anheben will. Es kann jedoch schon jetzt festgehalten werden, dass ein SEP-Nutzer bei der Kommunikation/Verhandlung nunmehr besondere Vorsicht walten lassen sollte und insbesondere immer ausdrücklich darauf hinweisen sollte, dass er bereit ist, eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen zu nehmen.