Der Vorabentscheidung des EuGH lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Das Kosmetik-Unternehmen Coty machte gegenüber Amazon Ansprüche wegen der Verletzung der Unionsmarke „Davidoff“ geltend und verlangte Unterlassung des Besitzens und Inverkehrbringens markenverletzender Parfums. Diese Parfums wurden von Amazon indes nicht als Verkäuferin angeboten und vertrieben, sondern Amazon übernahm die Lagerung und Versendung der Ware für einen Drittanbieter auf der Amazon-Marketplace-Plattform (sog. fulfilled by Amazon, bzw. fbA-Verfahren).
Das LG München I und das OLG München wiesen die Klage ab. Das Verwahren von Ware für einen Dritten stelle kein eigenes Besitzen und das Versenden der Ware für einen Dritten kein eigenes Inverkehrbringen von Amazon dar. Eine Störerhaftung von Amazon scheide aus, da es Amazon nicht zugemutet werden könne, proaktiv die Vielzahl der in ihrem Lager befindlichen Produkte auf Fälschungsmerkmale zu untersuchen, welche oftmals nur dem Hersteller selbst bekannt seien.
Der BGH setzte das Verfahren in der Revisionsinstanz aus und legte dem EuGH die Frage zur Entscheidung vor, ob das sog. Lagerhalter- und Spediteurprivileg auch in Fällen gilt, in denen der Lagerhalter vollständig in den Betriebsablauf integriert ist, weil Plattformbetreiber, Einlagerer und Versender zum selben Konzern gehörten und nur die über die Plattform angebotenen Waren gelagert und versendet werden (BGH GRUR 2018, 1059 – Davidoff Hot Water III). Der BGH tendierte dazu, das Lagerhalter- und Spediteurprivileg (z.B.: BGH GRUR 2009, 1142 – MP3-Player-Import) auch auf die vorliegende Situation anzuwenden, eine Haftung mangels eigener Handlung also zu verneinen.
Der Generalstaatsanwalt sah in seinem Schlussantrag hingegen Amazon in der Pflicht: Amazon sei aktiv am Vertrieb der Ware beteiligt sei und habe – anders als ein reiner Spediteur – ein eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Verkauf (durch die Verkaufsgebühren). Der EuGH bewertete dies nun anders: Zu untersagen seien nur aktive Handlungen, mit denen ein Wirtschaftsteilnehmer selbst den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zweck des Anbietens von Waren oder ihres Inverkehrbringens verfolgt. Der Besitz und das Inverkehrbringen müssen also für den eigenen Vertrieb durch das Unternehmen erfolgen. Der EuGH lies in seiner Entscheidung offen, ob nicht ggf. eine Haftung über die Grundsätze der Störerhaftung vorliege, da diese Frage nicht Teil des Vorabersuchens des BGH war. Eine Störerhaftung setzt aber regelmäßig positive Kenntnis von der Markenverletzung des Dritten voraus.
Die Entscheidung des EuGH und die im Vorabentscheidungsersuchen geäußerte Rechtsansicht des BGH reihen sich ein in eine Entscheidungspraxis, die Handelsplattformen privilegiert und nur die dort agierenden Händler streng in die Haftung nimmt. Händler auf der Marketplace-Plattform von Amazon sollen zum Beispiel auch dann als eigenständige Täter eines Wettbewerbs- oder Markenverstoßes haften, wenn ein Angebot, bei welchem sie als Händler gelistet sind, von einem Dritten (Amazon oder anderer Händler) ohne ihre Kenntnis verändert wurde, da sie jederzeit mit einer solchen Manipulation rechnen müssten (s. BGH GRUR 2016, 936 – Angebotsmanipulation bei Amazon [für das Markenrecht] und BGH GRUR 2016, 961 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon [für das Wettbewerbsrecht)]. Die Grenze dieser Haftung setzte der BGH erst bei einer Zurechnung von inhaltlich fehlerhaften Kundenbewertungen (BGH GRUR-RS 2020, 3414). Der BGH begründet diese sehr weitgehende Haftung der Händler als haftungsrechtliche Kehrseite der Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Vorteile einer offenen und reichweitenstarken Handelsplattform. Darauf, dass es den Händlern rein tatsächlich nicht möglich ist, oftmals mehrere tausend Angebote regelmäßig auf Einfügungen Dritter zu überprüfen, komme es nicht an.
Nach Ansicht des Autors ist nicht nachvollziehbar, weshalb diese strengen Haftungsgrundsätze nicht auch für das fbA-Verfahren zu Lasten von Amazon gelten sollen. Amazon profitiert direkt von den Angeboten der Händler (durch Verkaufsgebühren) und muss damit rechnen, dass über die Plattform auch markenverletzende Ware vertrieben wird. Durch Abwicklung des gesamten Verkaufsprozesses wirkt Amazon an dem Markenverstoß aktiv mit. Darauf, dass eine Überprüfung der Ware auf Originalität für Amazon kaum möglich ist, kann es nach Vorgesagtem eigentlich nicht ankommen.
Zuletzt bleibt offen, ob die Haftungsprivilegierung auch dann gilt, wenn der Händler neben dem fbA-Verfahren auch der Vermischung der Lagerbestände zustimmt. In dieser Variante des fbA-Verfahrens werden die verschiedenen Lagerbestände (von Amazon und anderen Dritthändlern) eines Produkts zusammengelegt und der Käufer jeweils aus dem nächstliegenden Lager beliefert, bei welchem das Produkt vorrätig ist. Der Händler hält de facto keinen konkreten Lagerbestand mehr, sondern nur einen bestimmten Anteil eines Gesamtlagerbestandes. Amazon wählt unabhängig und weisungsfrei dasjenige Produkt aus dem Gesamtlagerbestand aus, welches der Käufer erhält. Zumindest in diesem Fall könnte man eine aktive eigene Handlung von Amazon und damit eine Haftung im Falle eines Markenverstoßes bejahen.