Nachdem seit der letzten großen Reform des Patentrechts in Deutschland bereits gut zehn Jahre vergangen sind, sieht das Justizministerium nunmehr einen „punktuellen Bedarf“ für eine Überarbeitung, um weiterhin einen „effektiven und ausgewogenen Schutz von gewerblichen Schutzrechten“ zu gewährleisten.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass eine der Hauptforderungen für eine Änderung des Patentgesetzes von der Automobilindustrie kommt. Nachdem sich auch die deutschen Automobilhersteller zunehmend dem Angriff von Mobilfunk-Patentverwertern im Bereich von Connected Car-Anwendungen ausgesetzt sehen, wurde rasch die Forderung laut, den im Gesetz ohne weitere Bedingungen formulierten Unterlassungsanspruch mit einer zusätzlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung abzumildern.
Insgesamt werden folgende Hauptänderungen vorgeschlagen:
Der sog. qualifizierte Hinweis im Patentnichtigkeitsverfahren, mit dem das Bundespatentgericht (BPatG) möglichst früh eine vorläufige Stellungnahme zu seiner Sicht auf den Rechtsbestand eines Patents abgibt, soll nun innerhalb von sechs Monaten nach Zustellung der Nichtigkeitsklage erfolgen. Damit will der Gesetzgeber den langen Laufzeiten in Patentnichtigkeitsverfahren und dem dadurch entstehenden „injunction gap“ entgegenwirken. Dieser „injunction gap“ betsteht, weil die Verfahrensdauer bei den Nichtigkeitssenaten des BPatG regelmäßig bei über zwei Jahren liegt (derzeit ca. 26 Monate) und der Patentinhaber bei den deutlich schnelleren Verletzungsgerichten (je nach Gericht ca. 9 bis 15 Monate in der 1. Instanz) mit einer schnellen Verurteilung den Beklagten stark unter Druck setzen kann. Der Beklagte hat regelmäßig erst in der Berufung eine belastbare Aussage des BPatG über den Rechtsbestand des Klagepatents zur Hand – und dann kann es schon zu spät sein, wenn er sich zuvor mit dem Kläger in einem außergerichtlichen Vergleich geeinigt hat.
Um zu gewährleisten, dass sich ein technischer Richter beim BPatG den Rechtsbestand des Klagepatents vor der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verletzungsverfahren zumindest einmal vorläufig angesehen hat, soll nun die neue Sechs-Monats-Frist eingeführt werden. Dadurch würde der qualifizierte Hinweis eine große Rolle bei der Aussetzungsentscheidung im Verletzungsverfahren spielen. Es bleibt abzuwarten, ob die Sechs-Monats-Frist (die auch nur als „Soll“-Vorschrift eingeführt wird, d.h. nicht zwingend ist) in der Rechtspraxis überhaupt eingehalten werden kann und welche Qualität diese schnell erstellten Hinweise haben werden.
Wie eingangs erwähnt, soll der Unterlassungsanspruch des § 139 Abs. 1 PatG durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ergänzt werden. Konkret wird folgende Formulierung im Gesetz vorgeschlagen:
„Der [Unterlassungs-]Anspruch ist ausgeschlossen, soweit die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs unverhältnismäßig ist, weil sie aufgrund besonderer Umstände unter Beachtung des Interesses des Patentinhabers gegenüber dem Verletzer und der Gebote von Treu und Glauben eine durch das Ausschließlichkeitsrecht nicht gerechtfertigte Härte darstellt.“
In verschiedenen Vorträgen haben Richter darauf hingewiesen, dass auch ohne diese Zusatzbestimmung bereits Möglichkeiten bestünden, Härtefälle abzufedern. Zunächst gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgemeiner Rechtsgrundsatz ohnehin stets bei allen Ansprüchen im Zivilrecht. Zudem kann beispielsweise durch eine hohe Sicherheitsleistung eine größere Hürde für die vorläufige Vollstreckung eines erstinstanzlichen Urteils geschaffen werden. Auch eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist bei entsprechenden Härtefällen denkbar.
Die Notwendigkeit einer „gesetzgeberischer Klarstellung“, wie sie das Justizministerium selbst bezeichnet, besteht jedoch in den Augen des Justizministeriums in der strengen Anwendung des Unterlassungsanspruchs durch die Gerichte. Der BGH hat zwar schon vor einer Weile deutlich gemacht, dass die Einschränkung des Unterlassungsanspruchs unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben in Härtefällen gerechtfertigt sein kann (BGH, Urteil vom 10.05.2016, X ZR 114/13 – Wärmetauscher; im dort entschiedenen Fall ging es konkret um die Frage der Einräumung einer Aufbrauchsfrist). Jedoch würden die Instanzgerichte solche Verhältnismäßigkeitserwägungen bei Ihren Entscheidungen bislang nur sehr zurückhaltend berücksichtigen.
Der Diskussionsentwurf betont, dass eine Einschränkung des Unterlassungsanspruchs wegen Unverhältnismäßigkeit nur in sehr wenigen Fallkonstellationen in Betracht kommen werde. Mögliche einschlägige Fallkonstellationen seien komplexe Produkte (beispielsweise ein patentverletzender Telekommunikationschip in einem Fahrzeug), ein Unterlassungsbegehren durch einen nicht selbst produzierenden Patentverwerter oder besondere wirtschaftliche Härtefälle für den Beklagten. Es ist bereits abzusehen, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Vortrag der Parteien ein weiträumiges neues Diskussionsfeld öffnen dürfte. Zugleich überrascht, dass eine ebensolche gesetzgeberische Klarstellung nicht für das Gebrauchsmustergesetz vorgesehen ist.
Die im neuen Geschäftsgeheimnisschutzgesetz (GeschGehG) vorgesehenen Möglichkeiten der Gerichte, Maßnahmen zur Erhaltung der Geheimnisse zu treffen (siehe hierzu den Artikel „GeschGehG – Teil III: Der Anwendungsbereich gerichtlicher Geheimhaltungsmaßnahmen“ in der Dezember-Ausgabe 2019 unseres Newsletters), sollen auch in Patentstreitverfahren übernommen werden. Auf diese Weise soll es beispielsweise möglich sein, das Recht zur Akteneinsicht einzuschränken, die Öffentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen auszuschließen oder den Zugang zu bestimmten Dokumenten auf eine bestimmte Anzahl von zuverlässigen Personen zu beschränken.
Mit diesen Lockerungen kommt der Gesetzgeber dem in der Praxis bestehenden Verlangen nach, im Rahmen von Patentstreitverfahren offengelegte Informationen besser zu schützen (beispielsweise die Frage, wie ein Beklagter ein Herstellungsverfahren durchführt, wenn es denn nicht patentgemäß erfolgt). Die Instanzgerichte waren bereits in der Vergangenheit kreativ, wenn es um den Schutz von offengelegten Informationen geht, wie es am Beispiel des Düsseldorfer Verfahrens bei Besichtigungen oder der (Nicht-)Offenlegung von bestehenden Lizenzverträgen in FRAND-Verfahren der Fall ist. Die Rechtspraxis wird diese Ergänzung dennoch im Allgemeinen begrüßen. Und auch hier sollte eine entsprechende Regelung in Gebrauchsmustersachen vorgesehen werden, auch wenn viele Regelungen des Patentgesetzes im Gebrauchsmusterrecht ohnehin entsprechende Anwendung finden.
Das Justizministerium hat mit der Veröffentlichung des Diskussionsentwurfs die im gewerblichen Rechtsschutz interessierten Verbände und Institutionen um Stellungnahme bis zum 10.03.2020 gebeten. Bislang sind 27 Stellungnahmen aus der Industrie, von Verbänden und Interessenvertretungen (z.B. der Patentanwaltskammer und der Bundesrechtsanwaltskammer) eingegangen, die auf der Website des Justizministeriums veröffentlicht wurden. Es bleibt spannend, wie sich die Diskussion um den Gesetzesentwurf weiter entwickelt. Wir werden zu gegebener Zeit berichten, welche Änderungen des Patentrechts tatsächlich verabschiedet werden.