1. Der I. Senat des BGH hatte in der Entscheidung „Geschäftsführerhaftung“ (GRUR 2014, 883) die persönliche Haftung des Organs einer juristischen Person für deren Wettbewerbsverstöße erheblich eingeschränkt. Danach ist eine Haftung des gesetzlichen Vertreters für Verletzungshandlungen der Gesellschaft nur dann gegeben, wenn er an dieser durch positives Tun beteiligt gewesen ist oder wenn er aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktrechts begründeten Garantenstellung, die den strafrechtlichen Grundsätzen zur Täterschaft und Teilnahme folgt, eine Verletzungshandlung der Gesellschaft verhindern musste. Der X. Senat verfolgt hingegen im Rahmen des § 139 PatG den sogenannten Einheitstäterbegriff.
2. Gegenstand der Entscheidung „Glasfasern II“ des X. Senats (Urteil v. 15.12.2015 – X ZR 30/14) war ein Europäisches Patent das die Verwendung von Glasfasern einer bestimmten chemischen Zusammensetzung, die kein kanzerogenes Potential zeigen, lehrte. Beklagt waren 4 Parteien, u. a. eine Gesellschaft, die Dämmmaterial für den Hausbau aus Glasfaserplatten herstellte sowie deren Geschäftsführer persönlich.
3. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Die persönliche Haftung des Geschäftsführers war nach Auffassung des X. Senats ohne weiteres gegeben, obwohl keine näheren Feststellungen durch die Instanzgerichte dazu getroffen worden waren, welche konkreten Handlungen der Geschäftsführer vorgenommen hatte und inwiefern er an den Verletzungshandlungen persönlich beteiligt war (Tz. 106). Trotz des unterschiedlichen Haftungskonzepts des I. Senats, sah der X. Senat keine Notwendigkeit den Großen Zivilsenat zu den Voraussetzungen der persönlichen Haftung des gesetzlichen Vertreters einer Gesellschaft für deren Schutzrechtsverletzungen anzurufen; er führt hierzu aus, dass auch die vom I. Senat aufgestellten Voraussetzungen einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers im zu entscheidenden Fall erfüllt sind (Tz. 109 ff.):
4. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des I. Senats führt der X. Senat zunächst aus: Eine haftungsbegründende Garantenstellung des gesetzlichen Vertreters im Sinne der Rechtsprechung ergibt sich noch nicht allein aus dessen Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung der Gesellschaft als handelndes Organ (§ 43 Abs. 1 GmbHG oder § 93 Abs. 1 S. 1 AktG). Denn diese Pflichten bestehen grundsätzlich nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft und nicht gegenüber Dritten. Eine persönliche Haftung erfordert vielmehr, dass der gesetzliche Vertreter persönlich zum Schutz außenstehender Dritter vor Gefährdung oder Verletzung verantwortlich ist (Tz. 111).
5. In einem nächsten Schritt untersucht der X. Senat, unter welchen Voraussetzungen die einem Organ zunächst allein im Innenverhältnis obliegenden Organisationspflichten zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte Außenwirkung gegenüber Dritten entfalten und somit zu einer persönlichen Außenhaftung gegenüber Dritten führen. Hierzu führt der Senat aus, dass bei absoluten Schutzrechten eine über die bloße Organstellung hinausgehende persönliche Verantwortung des gesetzlichen Vertreters zur Gefahrenabwehr – zu ergänzen ist: im Interesse Dritter – zum Tragen kommen kann (Tz. 113).
Eine solche persönliche Verantwortung sieht der X. Senat typischerweise bei technischen Schutzrechte als gegeben an, nämlich wenn ein Unternehmen technische Erzeugnisse herstellt oder in den inländischen Markt einführt (Tz. 114). Die Haftung des Geschäftsführers folgt in diesen Fällen nicht aus seiner Geschäftsführerstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter (Tz. 113). Eine solche persönliche Haftung ist zugleich Ausdruck der gesteigerten Gefährdungslage, der technische Schutzrechte ausgesetzt sind und deren Schutz ansonsten nicht in hinreichender Weise gewährleistet wird (Tz. 116).
6. Die vom X. Senat konstatierte gesteigerte Gefährdungslage technischer Schutzrechte hat erhebliche Auswirkungen auf die Leitung und Organisation eines entsprechenden Unternehmens: Aufgrund der Vielzahl von Patenten mit unterschiedlichsten Gegenständen ist ein Unternehmen stets vor Aufnahme einer potentiell patentverletzenden Tätigkeiten verpflichtet zu prüfen, ob seine Erzeugnisse oder Verfahren in den Schutzbereich fremder Rechte fallen (Tz. 115).
7. Aufgrund dieser Gefährdungslage ist es nach Ansicht des X. Senats auch gerechtfertigt, dass der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft grundsätzlich dafür Sorge zu tragen hat, dass die Produktion und Vertriebstätigkeit des Unternehmens keine Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat oder zumindest dafür Sorge zu tragen hat, dass die Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet ist. Hierzu zählt auch, dass grundlegende Entscheidungen über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht ohne die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erfolgen und dass die mit Entwicklung, Herstellung und Vertrieb betrauten Mitarbeiter der Gesellschaft die gebotenen Vorkehrungen treffen, um eine Verletzung fremder Patente zu vermeiden (Tz. 117).
8. Vor diesem Hintergrund obliegt dem gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft nach Ansicht des X. Senats regelmäßig eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Frage, wie er den ihm obliegenden Pflichten, Patentverletzungen zu vermeiden, nachgekommen ist (Tz. 120). Faktisch bedeutet dies eine „Beweislastumkehr“ im Patentverletzungsverfahren, wonach der Patentinhaber die Umstände einer persönlichen Verantwortlichkeit des gesetzlichen Vertreters für die Verletzung gerade nicht darzulegen braucht. So führt der X. Senat aus, dass es regelmäßig keiner näheren Feststellungen dazu bedarf, dass die schuldhafte Verletzung eines Patents durch eine Gesellschaft auf einem schuldhaften Fehlverhalten ihres gesetzlichen Vertreters beruht (Tz. 118 + 119).
9. Schließlich gibt der X. Senat auch einen Hinweis zu der umstrittenen Frage der persönlichen Haftung von (leitenden) Angestellten für die im Unternehmen begangene Patentverletzung (zum Meinungsstand vergleiche Keukenschrijver/Busse, 7. Aufl., § 139 Rn. 22; Benkard, 11. Aufl., §§ 139 Rn. 23). Gleichsam in einem Nebensatz hält der X. Senat fest, dass die Erwägungen, die zu einer persönlichen Haftung des Organs führen auch für den (leitenden) Mitarbeiter gelten können, der für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage für die Schutzrechte Dritter ergibt (Tz. 113).
10. Als Summe lässt sich zu den Entscheidungen „Geschäftsführerhaftung“ einerseits und „Glasfaser II“ andererseits also festhalten: Im Zuständigkeitsbereich des I. Senats hat der Kläger zur persönlichen Verantwortlichkeit des Geschäftsführers ggf. im Detail vorzutragen. Beispielsweise haftet der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des I. Senats dann, wenn es sich um Maßnahmen handelt, die „üblicherweise“ auf Geschäftsführungsebene entschieden werden. Hieraus ergibt sich für die Beratung ein erhebliches Prognoserisiko, weil noch nicht ausdifferenziert ist, ob es für diese „Üblichkeit“ auf das konkrete Unternehmen ankommt, oder ob eine mehr typisierende Betrachtung Platz zu greifen hat. Demgegenüber verlangt die Rechtsprechung des X. Senats keinen Vortrag des Klägers zur Haftung des Geschäftsführers. Vielmehr ist es Aufgabe des Organs, sich im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast gleichsam zu „exkulpieren“.