§ 140 Abs. 3 MarkenG n. F. lautet: „Zur Sicherung der in diesem Gesetz bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung können einstweilige Verfügungen auch ohne die Darlegung und Glaubhaftmachung der in den §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung bezeichneten Voraussetzungen erlassen werden.“. Eine dem § 140 Abs. 3 MarkenG n. F. entsprechende Dringlichkeitsvermutung gab es im Wettbewerbsrecht seit jeher. Bereits § 25 UWG 1909 kodifizierte eine Dringlichkeitsvermutung und wurde ab 2004 durch § 12 Abs. 2 des neuen UWG übernommen und sprachlich präzisiert.
In der Rechtsprechung und Literatur war stets streitig, ob diese Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 2 UWG im Markenrecht entsprechend angewendet werden konnte (vgl. Übersicht in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 12. Aufl., § 14 Rn. 581 ff.).
Mit einem noch zum alten Markenrecht ergangenen Beschluss vom 12.10.2018, abgedruckt z. B. in GRUR-RR 2019, 64 f., ist das Oberlandesgericht Nürnberg der überwiegenden Meinung gefolgt und hat eine analoge Anwendung der Dringlichkeitsvermutung gemäß § 12 Abs. 2 UWG auf das Markenrecht abgelehnt mit der Folge, dass der Antragsteller den Verfügungsgrund glaubhaft machen musste. In dem entschiedenen Fall hatte der Antragsgegner ein Foto auf seiner Website veröffentlicht und damit eine Marke des Antragstellers verletzt. Nach einer Abmahnung des Antragstellers gab der Antragsgegner zwar keine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, so dass der Unterlassungsanspruch weiterhin gegeben war. Der Antragsgegner entfernte allerdings das markenverletzende Foto von seiner Website. Da weitere Verletzungshandlungen des Antragsgegners nicht dargelegt worden waren, ging das Oberlandesgericht Nürnberg davon aus, dass der Antragsgegner die Verletzungshandlung eingestellt hatte. In einem solchen Fall sei, so das Oberlandesgericht Nürnberg, die Rechtsverfolgung nicht mehr dringlich. Eine einstweilige Verfügung sei zur Sicherung der Ansprüche des Antragstellers nicht mehr erforderlich. Dem Antragsteller sei es zumutbar, seine Ansprüche im Hauptsacheverfahren durchzusetzen. Es fehle daher zumindest an einem Verfügungsgrund. Das Oberlandesgericht Nürnberg wies dementsprechend den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kostenpflichtig zurück.
Nach neuem Recht hätte das Oberlandesgericht Nürnberg wegen der jetzt in das Gesetz eingeführten Dringlichkeitsvermutung gemäß § 140 Abs. 3 MarkenG n. F. davon ausgehen müssen, dass eine Vermutung für den Verfügungsgrund gegeben ist.
Die Dringlichkeitsvermutung ist indes widerlegbar. Der Antragsgegner hätte somit seinerseits – entweder im Rahmen einer Schutzschrift oder in der Widerspruchsbegründung – darlegen können, dass er die Verletzungshandlung eingestellt hat. Gleiches gilt, sollte man von einer Pflicht des Antragstellers ausgehen, auch die ihm bekannten, gegen eine Dringlichkeit sprechenden Umstände vortragen zu müssen, wie es hinsichtlich bekannter Einwendungen gegen den Verfügungsanspruch der Fall ist.
Ob das Oberlandesgericht Nürnberg dann auch nach neuem Recht zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass ein Verfügungsgrund nicht vorliegen würde und dementsprechend der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen sei, ist fraglich. Die Ansicht, dass bei einer Einstellung der Verletzungshandlung die Dringlichkeit für eine einstweilige Verfügung entfällt, vertritt außer dem Oberlandesgericht Nürnberg, soweit dem Unterzeichner bekannt, nur noch das Oberlandesgericht München, dies aber auch nur dann, wenn es keine Dringlichkeitsvermutung gibt, vgl. OLG München WRP 2014, 591 ff. Da es jetzt im Markenrecht eine Dringlichkeitsvermutung gibt, dürften auch die Münchener Gerichte wohl in Zukunft nicht mehr annehmen, dass bei einer bloßen Einstellung der Verletzungshandlung ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung der Verfügungsgrund nicht gegeben ist.
Die anderen Oberlandesgerichte gehen, soweit ersichtlich, ohnehin nicht von einem Wegfall der Dringlichkeit aus, wenn lediglich die Verletzungshandlung ohne Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung eingestellt wird. Ausnahme: sollte der Verstoß bei einer Sonderveranstaltung, wie z. B. einem Jubiläums- oder Weihnachtsverkauf, begangen worden sein, so kann dies gegen den Verfügungsgrund sprechen, wenn die Handlung nicht oder erst nach längerer Zeit wiederholbar ist (vgl. u. a. Cepl/Voß, Prozesskommentar zum Gewerblichen Rechtsschutz, 2. Aufl., § 940, Rn. 95).