Hintergrund der Vorlagefrage war, dass für Warner-Lambert Company (WLC) im zentralisierten Verfahren für das Arzneimittel Lyrica mit dem Wirkstoff Pregabalin eine Zulassung mit drei Indikationen erteilt worden war, von denen zwei nicht mehr patentgeschützt waren, für die dritte jedoch das Patent erst am 17.7.2017 ablief. Dementsprechend wollte das Generikaunternehmen nach Erhalt der generischen Zulassung und vor Vermarktung des generischen Arzneimittels die damals noch patentgeschützte Indikation durch „Carve-out“ von der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels (SmPC) streichen („Skinny Labeling“), was die holländische Behörde insofern ablehnte, als sie alle Indikationen veröffentlichte.
Dagegen ging der Originator WLC vor und das zuerst angerufene niederländische Gericht entschied, dass das Vorgehen der niederländischen Zulassungsbehörde CBG unzulässig sei, da unvereinbar mit der einer Zulassungsbehörde obliegenden Sorgfaltspflicht. Gegen diese Entscheidung wiederum ging die CBG vor, weshalb es zur Vorlagefrage des niederländischen Berufungsgerichts an den EuGH kam.
Das vorlegende Gericht wollte wissen, ob Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 dahingehend auszulegen sei, dass in einem Zulassungsverfahren für ein Generikum die Übermittlung der Packungsbeilage und der SmPC des Generikums, in der keine Indikationen oder Dosierungen angegeben sind, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens dieses Arzneimittels noch unter das Patentrecht fielen, an die zuständige nationale Behörde als eine Beschränkung des Umfangs der Zulassung des betreffenden Generikums anzusehen ist.
Diese Frage hat der EuGH bejaht. Der EuGH hat darauf abgestellt, dass gemäß Art. 6 der Richtlinie 2001/83 ein Arzneimittel innerhalb der EU erst nach Genehmigung der zuständigen Behörde in den Verkehr gebracht werden darf und gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2001/83 auch alle weiteren Stärken, Darreichungsformen etc. sowie alle Änderungen und Erweiterungen genehmigt werden müssen. Ferner stellt der EuGH klar, dass sich aus Art. 8 Abs. 3 Buchstabe j) und Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 ergebe, dass die Packungsbeilage und die SmPC Teil der Zulassung sind, dass das in Verkehr gebrachte Arzneimittel dieser Zulassung entsprechen muss, die sich in der SmPC widerspiegeln muss und der Zulassungsinhaber die Packungsbeilage und die SmPC nicht ohne eine entsprechende Mitteilung an die zuständige Behörde, um deren Genehmigung einzuholen, ändern darf.
Wegen des Identitätserfordernisses zwischen dem Referenzarzneimittel und dem Generikum gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 und der in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Möglichkeit, den Umfang der SmPC des Generikums auf Indikationen oder Dosierungen zu beschränken, die nicht durch das Patentrecht geschützt sind, ist der EuGH der Auffassung, dass sich dies auf den Umfang der Zulassung auswirke. Die zuständige Behörde müsse die Genehmigung für das Inverkehrbringen ändern, um die Übereinstimmung mit der SmPC sicherzustellen. Die Mitteilung der SmPC, in der bestimmte Indikationen nicht enthalten seien, stelle eine Streichung therapeutischer Indikationen dar, die vom Zulassungsinhaber als geringfügige Änderung des Typs IB nach Art. 9 der VO 1234/2008 einzureichen sei. Nach Ablauf des Patentschutzes könne der Zulassungsinhaber die Aufnahme der bislang noch unter Patentschutz fallenden Indikation im Rahmen einer Änderungsanzeige des Typs II gemäß Art. 10 der VO 1234/2008 beantragen.
Mit dieser Entscheidung hat der EuGH eine jahrelang gut funktionierende Praxis, die den vom Gesetzgeber mit den Generikavorschriften gewollten Interessenausgleich aller beteiligten Parteien berücksichtigt hat, letztlich bestätigt, wenngleich sich vielleicht nicht alle Beteiligten bewusst waren, wie diese Handhabung regulatorisch einzuordnen ist.
Bereits aus der CMDh Question & Answers Usage Patents (CMDh/279/2012) vom Oktober 2012 wird deutlich, dass die Entscheidung des EuGH nichts wesentlich Neues darstellt. Bislang wurde einhellig über alle Mitgliedstaaten hinweg das Skinny Labeling praktiziert, dahingehend, dass zwischen der regulatorischen Zulassung und der Vermarktung in den einzelnen Mitgliedstaaten, die unterschiedliche Patentlaufzeiten aufweisen können, differenziert wurde.
Dementsprechend wurde von den meisten Zulassungsbehörden die Streichung der patentgeschützten Indikation als Variation eingestuft. In Deutschland wird vom BfArM zu dieser Frage auf der Homepage folgender Hinweis gegeben: „Die Aufnahme der Angaben zu bereits zugelassenen patentgeschützten Anwendungsgebieten ist nach Ablauf des Patentschutzes – als Änderung der informierenden Texte – als Typ IB Variation der Kategorie C.l.z zu beantragen.“
An dieser Handhabung muss sich in Deutschland auch nach der aktuellen EuGH-Entscheidung nichts ändern, denn die Ausführungen in Rn. 46 des Urteils geben insoweit nur eine unverbindliche Einschätzung des EuGH wieder. In Rechtskraft erwächst ausschließlich die am Ende des Urteils nach Rn. 50 wiedergegebene Beantwortung der Vorlagefrage und daraus ergibt sich lediglich, dass die Übermittlung der Packungsbeilage und der SmPC, in der eine patentgeschützte Indikation nicht angegeben ist, als ein Antrag auf Beschränkung des Umfangs der Zulassung anzusehen ist.
Wie diese Beschränkung des Umfangs der Zulassung wieder rückgängig zu machen ist, ergibt sich aus der VO Nr. 1234/2008 und danach ist, weil die Indikation schon einmal geprüft worden ist, zutreffender Weise eine Variation des Typs IB vorzunehmen.