1. Die Entscheidung des BGH betrifft einen Rechtsstreit zwischen der Tochter des im Jahr 1931 – 1966 bei Porsche tätigen Leiters der Abteilung Karosserie-Konstruktion und der Porsche AG. Im Rahmen seiner Tätigkeit war der Vater der Klägerin mit der Entwicklung der Fahrzeugmodelle Porsche 356 und Porsche 911 befasst. Streitig zwischen den Parteien war der Umfang der Beteiligung des Vaters der Klägerin an der Gestaltung dieser Porsche-Modelle (Tz. 1).
(Bild im Newsletter dargestellt)
Der Porsche 911 wird seit 1963 als Nachfolgemodell des von 1950 – 1956 produzierten Porsche 356 vertrieben. Im Streitfall ging es um die seit dem Jahr 2011 vertriebene achte Baureihe des Porsche 911, die als Baureihe 991 bezeichnet wird. Die Klägerin verlangte als Erbin eine angemessene Beteiligung nach § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG aus dem Verkauf der Baureihe 991, weil dieses Modell nach Auffassung der Klägerin wesentliche Gestaltungsmerkmale sowohl des Modells Porsche 356 als auch der ersten Baureihe des 911-Modells übernommen habe. Das Modell Porsche 356 beruhe auf dem von ihrem Vater als Urheber entworfenen sogenannten „Ur-356“, das erste Modell des Porsche 911 auf dem ebenfalls von ihrem Vater gestalteten, intern als Typ 354 „T7“ bezeichneten Modells, dem ebenfalls urheberrechtliche Werkqualität zukomme (Tz. 4):
(Bild im Newsletter dargestellt)
Das Landgericht Stuttgart wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die von der Klägerin eingelegte Berufung zurück. Der BGH hat nun das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
2. Der BGH gibt dem Oberlandesgericht zunächst im Ergebnis Recht, dass der Klägerin eine weitere angemessene Beteiligung nach § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG nicht zustehe, soweit sie geltend macht, Porsche habe mit dem Vertrieb der Baureihe 991 Urheberrechte ihres Vaters an der Gestaltung des Porsche 356 genutzt. Zwar könne die Klägerin ihre Anträge auf § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG stützen. Bei der Gestaltung des Porsche 356 handele es sich zudem um ein Werk der angewandten Kunst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG, das vom Vater der Klägerin geschaffen worden sei. Die Herstellung und der Vertrieb der Baureihe 991 des Porsche 911 stelle aber keine Nutzung dieses Werks im Sinne von § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG dar (Tz. 15).
Gemäß § 32a Abs. 1 Satz 1 UrhG in der seit dem 07.06.2021 geltenden Fassung kann der Urheber, der einem anderen ein Nutzungsrecht zu Bedingungen eingeräumt hat, die dazu führen, dass die vereinbarte Gegenleistung sich unter Berücksichtigung der gesamten Beziehungen des Urhebers zu dem anderen als unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu den Erträgen und Vorteilen aus der Nutzung des Werks erweist, von dem anderen verlangen, dass dieser in eine Änderung des Vertrags einwilligt, durch die dem Urheber eine den Umständen nach weitere angemessene Beteiligung gewährt wird.
Der BGH stellt zunächst klar, dass der Anspruch auf weitere angemessene Beteiligung gemäß § 32a UrhG nicht nur dem Urheber selbst, sondern auch seinen Erben zustehe. Denn gemäß § 28 Abs. 1 UrhG sei das Urheberrecht vererblich. Es entspreche dem Interesse des Urhebers, dass sein Urheberrecht nach seinem Tod für den in § 64 UrhG bestimmten Zeitraum von 70 Jahren der materiellen Versorgung seiner Erben zugutekomme (Tz. 23). Ferner sei das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Erträge oder Vorteile aus einer Nutzung, die nicht in den Schutzbereich eines Verwertungsrechts des Urhebers eingreifen, keinen Anspruch auf weitere angemessene Beteiligung des Urhebers begründen können (Tz. 35).
Das Oberlandesgericht hatte angenommen, dass die Herstellung und der Vertrieb des Porsche 911 der Baureihe 991 nicht in das dem Vater der Klägerin als Urheber zustehende ausschließliche Recht zur Vervielfältigung (§ 16 UrhG) und Verbreitung (§ 17 Abs. 1 UrhG) der Gestaltung des Porsche 356 eingreife. Denn die Gestaltung des Porsche 911 der Baureihe 991 stelle eine freie Benutzung der Gestaltung des Porsche 356 dar im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG aF (Tz. 41).
Nach § 24 Abs. 1 UrhG aF durfte ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werks eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werks veröffentlicht und verwertet werden. Hierzu hatte das Oberlandesgericht ausgeführt, dass maßgeblich für die Eigentümlichkeit der äußeren Gestaltung der Karosserie des Porsche 356 die besonders harmonische Linienführung mit einer Kombination aus flachen und geschwungenen Elementen sei. Weiter sei maßgeblich das Fehlen von harten Kanten in Verbindung mit der einprägsamen Frontansicht des Fahrzeugs, die sich aus folgenden Gestaltungselementen ergebe: dem fehlenden Kühlergrill, die in der Mitte geteilte Frontscheibe, den runden, leicht schräg gestellten Scheinwerfern, die in die hochgezogenen Kotflügel integriert seien und so die Fahrzeughaube flankierend begrenzten und die Linie jeweils nach unten einschnitten, und der dazwischen liegenden rundlichen Haube. Allerdings weise, so das Oberlandesgericht, die äußere Formgestaltung des Porsche 356 aufgrund des vorbekannten Formenschatzes von Kraftfahrzeugen nur eine geringe Gestaltungshöhe und damit einen stark eingeschränkten Schutzbereich auf. Nur die in vielen Details ausgestaltete Karosserie des Porsche 356 habe in ihrem Gesamteindruck eine hinreichende Schöpfungshöhe, um als Werk der angewandten Kunst nach § 2 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 UrhG schutzfähig zu sein. Da die Eigentümlichkeit der Karosseriegestaltung allein in der Kombination dieser Gestaltungsmöglichkeiten liege, erstrecke sich der Schutzbereich nur auf diese oder marginal abweichende Gestaltungen (Tz. 60).
Vor diesem Hintergrund nahm das Oberlandesgericht Stuttgart weiter an, dass der für die urheberechtliche Werkeigenschaft des Porsche 356 maßgeblichen Gesamteindruck bei der Gestaltung des Porsche 911 der Baureihe 991 so stark verblasse, dass dies allenfalls als Anregung für die neue Gestaltung gedient habe (Tz. 61).
Dieser Argumentation des Oberlandesgerichts stimmt der BGH nicht zu, kommt aber zum selben Ergebnis. Denn für die Frage, ob eine freie Benutzung vorliege, komme es nach Auffassung des BGH entscheidend auf den Abstand an, den das neue Werk zu den entlehnten eigenpersönlichen Zügen des benutzten Werks halte. Eine freie Benutzung nach § 24 UrhG aF setze daher voraus, dass angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werks verblassten (Tz. 43). § 24 UrhG aF wurde jedoch vom EuGH als nicht vereinbar angesehen mit der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (Tz. 46 mit Verweis auf EuGH, Urteil v. 29.07.2019, C-476/17, abgedruckt z.B. in GRUR 2019, 929 – Metall auf Metall III).
Der BGH stellt daher erstmals klar, dass die Grundsätze zur Abgrenzung der freien Benutzung von der (unfreien) Bearbeitung auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH und mit Blick auf die wegen dieser Entscheidung vorgenommenen Gesetzesänderungen in der Sache mit der Maßgabe weiter gelten, dass das Kriterium des Verblassens unionsrechtskonform im Sinne des Kriteriums einer fehlenden Wiedererkennbarkeit der schutzbegründenden eigenschöpferischen Elemente zu verstehen sei (Tz. 47). § 23 Abs. 1 Satz 2 UrhG nF bestimmt nun, dass dann keine Bearbeitung oder Umgestaltung im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 UrhG nF vorliegt, wenn das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk wahrt.
Vor diesem Hintergrund stellt der BGH fest, dass das Oberlandesgericht Stuttgart zwar angenommen habe, die Baureihe 991 des Porsche 911 sei als freie Benutzung der Gestaltung des Porsche 356 im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG aF anzusehen. Es habe aber keine Feststellungen dazu getroffen, ob es sich bei dem Porsche 911 der Baureihe 991 um ein neu geschaffenes, urheberrechtlich geschütztes Werk handele (Tz. 53). Nachdem ein Eingriff in ein Verwertungsrecht des Urhebers aber bereits dann nicht vorläge, wenn der Gesamteindruck der neuen Gestaltung nicht mit dem Gesamteindruck des benutzten Werks übereinstimme, komme es nicht darauf an, ob es sich bei der neuen Gestaltung um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handele. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen trügen somit die Annahme, dass der Gesamteindruck der Gestaltung des Porsche 911 der Baureihe 991 nicht mit dem Gesamteindruck der Gestaltung des Porsche 356 übereinstimme und daher weder ein Eingriff in das Vervielfältigungsrecht noch ein Eingriff in das Verbreitungsrecht des Vaters der Klägerin vorläge (Tz. 54).
3. Zur Aufhebung und Zurückweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht führte der Umstand, dass das Oberlandesgericht sich nicht mit einem Beweisangebot der Klägerin zur Urheberschaft ihres Vaters auch am Ursprungsmodell des Porsche 911 auseinandergesetzt hatte (Tz. 64 ff.). Die Klägerin hatte ihren Ehemann als Zeugen zum Beweis der Tatsache angeboten, dass dieser seinen Schwiegervater und dessen Arbeitsplatz besucht habe. Dort habe ihr Vater ihrem Ehemann den Targabügel für „seinen“ Porsche 911 gezeigt und klargemacht, dass der 911 und dessen Karosserie „sein Auto, sein Entwurf“ gewesen sei (Tz. 95). Dieses Beweisangebot habe die Klägerin zwar erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgebracht, das Oberlandesgericht Stuttgart habe sich aber nicht damit befasst, ob die Klägerin deshalb mit ihrem Beweisantritt ausgeschlossen sei (Tz. 96). Die Beurteilung dieser Frage sei dem Berufungsgericht vorbehalten, das bisher zu einer Präklusion des Beweismittels keine Ausführungen gemacht habe (Tz. 99).
4. Die Entscheidung des BGH gibt klare Richtlinien für die Beurteilung einer nicht zustimmungsbedürftigen Benutzung eines urheberrechtlich geschützten Werks im Rahmen des neuen § 23 Abs. 1 UrhG. Hierbei kann im Wesentlichen auf die Rechtsprechung zum bisherigen § 24 UrhG aF zurückgegriffen werden. Maßgebend für die Entscheidung ist letztlich ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks beider Werke, in dessen Rahmen sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind.