1. Nach Art. 3 der VO (EG) 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 06.05.2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel (im folgenden SPC-VO) kann ein ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden, wenn in dem Mitgliedsstaat, in dem die Anmeldung des Schutzzertifikats eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung
a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;
b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige arzneimittelrechtliche Zulassung erteilt wurde;
c) für das Zeugnis nicht bereits ein anderes Schutzzertifikat erteilt wurde und
d) die unter Buchstabe b) erwähnte arzneimittelrechtliche Zulassung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.
Damit gewährt das Zertifikat als Recht sui generis dieselben Rechte wie das Grundpatent und unterliegt denselben Beschränkungen und Verpflichtungen.
Sinn und Zweck der Einführung des ergänzenden Schutzzertifikats war es, durch die Gewährung eines zusätzlichen Schutzzeitraums in der Union zur Entwicklung von Arzneimitteln erforderliche Forschung und Innovation zu fördern und die benötigte Zeit bis zu einer Zulassungserlangung auszugleichen.
2. Mit Verordnung (EU) 2019/933 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.05.2019 wurden an Art. 5 SPC-VO neun weitere Absätze angefügt.
Anlass hierfür war, dass in den letzten Jahren ein enormes Wachstum bei der Herstellung von Generika und Biosimilars und deren Wirkstoffen in Ländern außerhalb der Europäischen Union eingetreten war und die in der Verordnung niedergelegten Regelungen die unbeabsichtigte Nebenfolge hatten, dass europäische Generika- und Biosimilars-Hersteller ihre Präparate in der Union noch nicht einmal für die Ausfuhr in Drittländer oder zum Zwecke der Lagerung für einen begrenzten Zeitraum vor Ablauf des Schutzzertifikats herstellen durften. Insoweit bestand die Notwendigkeit, bei größtmöglicher Wahrung der Rechte von Zertifikatsinhabern in Bezug auf den Unionsmarkt gleichzeitig die Position der Generika-Hersteller im Wettbewerb mit Konkurrenten außerhalb der EU zu stärken.
Gemäß dem neuen Art. 5 Abs. 2 SPC-VO schützt das Zertifikat nicht vor Handlungen, die in der Herstellung eines Erzeugnisses oder eines dieses Erzeugnis enthaltenden Arzneimittels für den Zweck der Ausfuhr in Drittländer bestehen oder eine damit verbundene, für die Herstellung in der Union oder die eigentliche Ausfuhr unbedingt erforderliche Handlung darstellen. Ebenfalls nicht unterbunden werden können Handlungen, die frühestens 6 Monate vor Ablauf des Zertifikats zur Herstellung eines Erzeugnisses oder dieses Erzeugnis enthaltenden Arzneimittel erfolgen, um die Erzeugnisse/Arzneimittel im Herstellungsmitgliedsstaat zu lagern und nach Ablauf des entsprechenden Zertifikats in den Mitgliedsstaaten in den Verkehr zu bringen, oder Handlungen, die für eine Herstellung in der Union oder für die eigentliche Lagerung unbedingt erforderlich sind, sofern diese verbundenen Handlungen ebenfalls nicht früher als 6 Monate vor Ablauf des Zertifikats durchgeführt werden.
Art. 5 Abs. 2 b) SPC-VO bestimmt, das der Hersteller dem Zertifikatsinhaber und der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaats, in dem die Herstellung erfolgen wird, bestimmte Informationen zur Verfügung stellen muss, und zwar spätestens drei Monate vor dem Datum des Beginns der Herstellung in diesem Mitgliedsstaat oder der ersten verbundenen Handlung, und, sofern das Erzeugnis/Arzneimittel nach Ablauf des ergänzenden Schutzzertifikats in der Union in Verkehr gebracht werden soll, zusätzlich frühestens 6 Monate vor Ablauf des Schutzzertifikats. In Deutschland hat die Mitteilung an das DPMA zu erfolgen; das zu verwendende Formular ist auf der Webseite des DPMA hinterlegt.
Die mitzuteilenden Angaben sind in Art. 5 Abs. 5 SPC-VO aufgeführt. Zu melden sind danach Name und Anschrift des Herstellers, die Angabe, ob die Herstellung zum Zweck der Ausfuhr, der Lagerung oder der Ausfuhr und der Lagerung erfolgt, der Mitgliedsstaat, in dem die Herstellung, die Lagerung oder eine etwaige erste verbundene Handlung vorgenommen wird, die Nummer des im Herstellungsmitgliedsstaat erteilten Zertifikats bzw. die Nummer des Zertifikats, das in dem Mitgliedsstaat der ersten verbundenen Handlung erteilt wird, und bei Arzneimitteln, die für eine Ausfuhr in Drittländer vorgesehen sind, für jedes Ausfuhrdrittland die Nummer der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder etwas dieser Genehmigung Gleichwertiges, sobald dies öffentlich verfügbar ist.
3. Obwohl die Regelung weitreichende Implikationen sowohl für Inhaber ergänzender Schutzzertifikate, als auch für Generika- und Biosimilar-Hersteller hat, sind in der Union erst relativ wenige Urteile hierzu ergangen – mit teilweise deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen.
Das Landgericht München I hat in einem Urteil vom 20.03.2023 (GRUR-RS 2023, 39994) festgestellt, die Ausnahmeregelung des Art. 5 SPC-VO sei nach ihrem Sinn und Zweck einschränkend dahingehend auszulegen, dass sich der Hersteller hierauf nicht berufen könne, wenn er die Genehmigungsnummer nicht für wenigstens ein Land mitgeteilt und auch nicht erklärt hat, in welches Drittland eine Ausfuhr erfolgen soll. Zudem bestehe das Herstellerprivileg nur für den Fall der Ausfuhr in schutzrechtsfreie Länder. Hersteller in Drittländern, in denen Schutz bestehe, dürften nämlich ohnehin nicht tätig werden, sodass insoweit auch keine Benachteiligung der Hersteller in der EU drohe. Die 3-Monats-Frist des Art. 5 Abs. 2 b) SPC-VO solle dem Schutzrechtsinhaber nicht nur die Prüfung ermöglichen, ob die Anforderungen der Verordnung eingehalten werden und ob insbesondere eine Umleitung der Erzeugnisse auf den Unionsmarkt droht, sondern auch, ob in dem beabsichtigten Exportdrittland eine Marktzulassung erteilt worden und eine Ausfuhr in das bezeichnete Drittland zulässig ist. Andernfalls drohe, dass der Hersteller, ohne irgendwelche Angaben zu dem beabsichtigten Ausfuhrland zu machen, nach Ablauf der drei Monate mit der Herstellung beginne und den Antrag im Drittland stelle, und sodann nach Erhalt der Genehmigung die Genehmigungsnummer nachträglich übermittle und unmittelbar in den Markt des Drittlands eintrete. Der Schutzrechtsinhaber würde so erst unmittelbar vor Markteintritt hierüber informiert und hätte keine Möglichkeit zu prüfen, ob dem Markteintritt im Drittland Schutzrechte entgegenstehen.
Am 23.01.2024 urteilte das Gericht in Den Haag (Az.: C/09/657817/KEZA23-1039) in Kenntnis der Entscheidung des LG München I, dass es zulässig sei, erst in einer Änderungsmitteilung nach der eigentlichen Notifizierung diejenigen Länder zu benennen, für die das Herstellungsprivileg in Anspruch genommen werden solle. Dem Wortlaut von Art. 5 SPC-VO sei nicht zu entnehmen, dass ein Hersteller die Notifikation erst versenden dürfe, nachdem die Zulassung erteilt wurde – und zudem erst weitere drei Monate nach Zulassung mit der Produktion beginnen könne. Denn dies stünde dem Sinn und Zweck der SPC-VO, gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen Herstellern aus der Union und solchen in Drittländern zu schaffen, entgegen. Die Auffassung des LG München I, dass die SPC-VO restriktiv in dem Sinne auszulegen sei, dass die Notifikation die Zulassungsnummer beinhalten müsste, bevor mit der Produktion für den Export begonnen werden könne, sei nicht zutreffend. Auch sei nach dem Verordnungstext das Herstellerprivileg nicht nur für einen Export in schutzrechtsfreie Länder vorgesehen. Stattdessen sei die Frage, ob die Herstellung, die unter das Herstellungsprivileg falle, im Drittland erlaubt sei oder nicht, für das Herstellungsprivileg ohne Bedeutung. Sei das Inverkehrbringen in einem Drittland als Verletzung eines bestehenden Schutzzertifikats zu werten, müsse der Schutzzertifikatsinhaber in diesem Drittland ein Verletzungsverfahren führen.
Am 23.12.2024 urteilte zudem das Unternehmensgericht in Brüssel (Az.: A/24/02113), dass eine Mitteilung nach Art. 5 Abs. 5 SPC-VO auch dann rechtmäßig sei, wenn die Zulassungsnummer in Bezug auf Exportländer fehle, soweit diese noch nicht öffentlich verfügbar sei. Nichts anderes ergebe sich aus dem Wortlaut der Verordnung. Auch habe sich der europäische Gesetzgeber bewusst gegen die Aufnahme weiterer Angaben in den Katalog der Mitteilungspflichten entschieden, und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen der Hersteller vor den Interessen der Inhaber der Schutzzertifikate den Vorzug gegeben.
Angesichts der beiden Urteile aus Den Haag und Brüssel, denen zuzustimmen ist (vgl. v. Czettritz/Thewes, PharmR 2024, 253 ff.), darf die Entwicklung der Rechtsprechung in Deutschland mit Spannung erwartet werden.