Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 23. Juni 2021, veröffentlicht am 9. Juli 2021, die Eilanträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Zustimmungsgesetz zur Ratifizierung des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) abgelehnt. Zwar steht eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren noch aus. Indes lässt das BVerfG keinen Zweifel daran, dass die Verfassungsbeschwerden in der Sache zurückgewiesen werden. Denn diese sind gemäß Beschluss (Rz. 45) unzulässig. Die Beschwerdeführer konnten nicht hinreichend substantiiert aufzeigen, dass sie in ihren Grundrechten verletzt sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des ersten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum EPFÜ vom 13. Februar 2020 (BVerfGE 153, 74).
Nach diesem ersten Verfahren stand vor allem die Frage im Raum, wie das BVErfG den als kritisch angesehen Art. 20 EPGÜ bewerten würde. In Art. 20 EPGÜ ist der Vorrang des EU-Rechts vor den Bestimmungen des Übereinkommens selbst postuliert, als Reaktion auf das Rechtsgutachten 1/2009 des Europäischen Gerichtshofs, der das Vorgängerprojekt des EPGÜ als nicht EU-Rechtskonform eingestuft hatte. Das im Februar 2013 unterzeichnete EPGÜ hatte daher klarzustellen, dass sich das EPGÜ nicht über EU-Recht hinwegsetzen kann. Dieser bedingungslose Vorbehalt des EU-Rechts war im Beschluss des BVerfG vom 13. Februar 2020 kritisch hinterfragt worden (Rz. 166), ohne dass es damals einer Entscheidung bedurfte.
Umso erfreulicher ist es, dass sich das BVerfG nunmehr klar und deutlich hierzu positioniert. Es arbeitet zunächst heraus (Rz. 74, 75), dass es in nahezu allen EU-Staaten „europaverfassungsrechtliche Kontrollvorbehalte“ gebe, die einem „uneingeschränkten Anwendungsvorrang des Unionsrechts entgegen[stehen].“ Sehr deutlich und in Fortführung seiner ESM-Rechtsprechung führt das BVerfG hierzu aus: „Die […] Anforderungen des Grundgesetzes binden alle Verfassungsorgane […] und dürfen weder relativiert noch unterlaufen werden.“
Für das Verständnis von Art. 20 EPGÜ erläutert das BVerfG daran anschließend (Rz. 77), dass mit ihm „Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des Übereinkommens mit dem Unionsrecht ausgeräumt werden sollen, es hingegen nicht um eine über den Status quo hinausgehende Regelung des Verhältnisses von Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht geht.“ Das BVerfG kommt zu dem überzeugenden Schluss, dass „Art. 20 EPGÜ das Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Verfassungsrecht […] nicht betrifft.“
Das BVerfG äußerst sich auch – wenngleich sehr knapp – zu anderen Angriffspunkten der Verfassungsbeschwerden. Mit Blick auf die sechsjährige Amtszeit der Richter am EPGÜ und der Möglichkeit von deren Wiederwahl konstatiert das BVerfG (Rz. 60), dass zeitlich begrenzte Amtszeiten mit Möglichkeit der Wiederwahl an internationalen Gerichten der Regelfall seien. Diese Besonderheiten seien zu berücksichtigen, so dass es an hinreichendem Vortrag dazu fehle, welche verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen zu stellen seien. Verstöße des EPGÜ gegen Unionsrecht sind aus Sicht des BVerfG nicht mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar (Rz. 70). Soweit gerügt werde, dass mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU das Übereinkommen nicht in Kraft gesetzt werden könne, beträfe dies nur die Auslegung des Übereinkommens und nicht mögliche Anforderungen des Grundgesetzes (Rz. 71).
Im Ergebnis billigt das BVerfG damit das EPGÜ und stärkt es deutlich. Zwar war durch die beiden seit 2017 anhängigen Verfahren eine erhebliche und bedauerliche Verzögerung eingetreten. Andererseits kann das EPGÜ nunmehr starten, ohne dass verfassungsrechtliche Zweifel die Nutzer davon abhalten, Klagen beim Einheitlichen Patentgericht einzureichen. Dies stellt zweifelsohne einen herausragenden Startvorteil dar.
Nach Auskunft des Vorbereitenden Ausschusses wird Deutschland nunmehr im Herbst das Protokoll zur Vorläufigen Anwendbarkeit institutioneller Bestimmungen ratifizieren. Es fehlen noch zwei weitere Mitgliedstaaten, diese werden aber vssl. ebenfalls im Herbst, spätestens Anfang 2022 folgen. Der Vorbereitende Ausschuss geht von einem Start der Vorläufigen Phase Anfang 2022 aus. Diese Phase soll acht Monate dauern. Im Laufe dieser Phase wird auch die sog. „Sunrise Period“ beginnen, mit der Opt-Out-Erklärungen bei der Registratur eingereicht werden können.
Veranstaltungshinweis: Rechtsanwalt Andreas Haberl und Rechtsanwalt Konstantin Schallmoser werden am Donnerstag, 23. September 2021 ein ganztägiges Seminar zum Einheitlichen Patentgerichtsübereinkommen und allen nunmehr nötigen Vorbereitungshandlungen halten. Das Seminar wird online stattfinden. Wir bitten Sie, Vorabanmeldungen per Mail an Frau Marion Dimitrijevic (mdi@preubohlig.de) zu richten.