Neben den FRAND-Fragen etabliert sich zunehmend eine weiter umkämpfte Besonderheit in Patentprozessen mit den Anti-Suit- und Anti-Anti-Suit-Injunctions ausländischer und deutscher Gerichte.
Im Kern geht es um den inländischen Justizgewährungsanspruch, der abgesichert werden soll. Seit langem[1] wird es als Verletzung der Hoheitsrechte angesehen, wenn ein ausländisches Gericht Beteiligten eines vor einem inländischen Gericht anhängigen Prozesses verbietet, diesen Prozess fortzuführen, und/oder den Beteiligten untersagt, ein Verfahren vor inländischen Gerichten anhängig zu machen (sog. Anti-Suit-Injunction).
Gerichte sind nun dazu übergegangen, den Justizgewährungsanspruch mit einer sog. Anti-Anti-Suit-Injunction abzusichern. Dadurch wird einer Prozesspartei, in der Regel dem Verletzungsbeklagten verboten, im Ausland bei einem Gericht z.B. eine solche Anti-Suit-injunction zu beantragen oder das Verfahren fortzuführen. Bemerkenswert ist dabei, dass die Gerichte mit ihrem Antidot genau das tun, was sie sich von einem ausländischen Gericht verbitten, nämlich in ein anhängiges Verfahren eines anderen Gerichts einzugreifen und dieses zu beenden.[2] Dies entwickelt sich geradezu zu einem Wettlauf der Gerichte, wobei die Anzahl der Präambel „Anti“ eskaliert.
Dem Antragsteller einer solchen Anti-Suit-Injunction kann es nach LG München I[3] in einem Verfügungsverfahren untersagt werden, eine Anti-Suit-Injunction (ASI) zu beantragen bzw. ein solches Verfahren außer zum Zweck der Antragsrücknahme weiter zu betreiben. Darin liege ein Eingriff in ein sonstiges Recht des § 823 Abs. 1 BGB (Patent), dem mit einem (vorbeugenden) Unterlassungsanspruch begegnet werden kann.
Nach OLG München[4] ist der Erlass einer vorbeugenden Unterlassungsverfügung (Anti-Anti-Suit-Injunction, AASI) die einzig wirksame Abwehrmaßnahme gegenüber einer Anti-Suit-Injunction dar, mittels derer die Ausübung der Rechtsposition von Patentinhabern in den in Deutschland anhängigen Patentverletzungsverfahren bis zum Abschluss des zwischen anderen Parteien geführten US-Verfahrens gesichert werden kann.
Umstritten ist dabei auch und insbesondere, wie der Anlass für eine solche vorbeugende Unterlassungsverfügung und damit die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses zu beurteilen ist.
Nach LG München I[5] gibt es unterschiedliche Anlässe für die Begründung des Rechtsschutzinteresses einer vorbeugenden Unterlassungsverfügung AASI. Die allenfalls theoretische Möglichkeit einer ASI genüge für eine Erstbegehungsgefahr nicht. Hinzukommen müsse vielmehr regelmäßig ein Verhalten des Anspruchsschuldners, aus dem sich eine in naher Zukunft bevorstehende und konkrete Verletzungshandlung ergibt.
Effektiver Rechtsschutz könne nur durch eine „maßvolle zeitliche Vorverlagerung“ zu Gunsten des Patentinhabers erzielt werden. Dem Interesse des Patentbenutzers, vor kostenpflichtigen einstweiligen Verfügungen zur Abwehr befürchteter ASI-Anträge verschont zu werden, werde dadurch Rechnung getragen, dass die die Erstbegehungsgefahr begründenden Alternativen sämtlich auf Handlungen des Patentbenutzers abstellen. Der Patentbenutzer und seine Konzernunternehmen hätten es demnach selbst in der Hand, durch geeignete Erklärungen eine Erstbegehungsgefahr gar nicht erst entstehen bzw. entfallen zu lassen.
Aber nicht nur eine (angekündigte) ASI löse eine vorbeugende Unterlassungsverfügung aus. Auch eine Klage auf Lizenzgewährung oder eine Klage auf Festsetzung einer FRAND-Lizenz könne eine vorbeugende Unterlassungsverfügung nach sich ziehen. Die bislang bekannt gewordenen Anträge auf Erlass einer ASI seien damit begründet worden, eine im Erlassstaat anhängige Hauptsacheklage zu schützen. Diese Hauptsacheklagen seien auf die Schließung eines FRAND-Lizenzvertrages bzw. auf die von einem konkreten Vertragsabschluss losgelöste, abstrakte Feststellung von FRAND-Lizenzkonditionen gerichtet. Beiden Klagetypen sei aber die Argumentation gemein, der Patentbenutzer sei lizenzwillig und die Abwesenheit eines die bereits vorgenommenen und fortgesetzten weltweiten Benutzungshandlungen legitimierenden Lizenzvertrages sei allein dem Patentinhaber zuzuschreiben.
Wäre der Patentbenutzer wirklich lizenzwillig, würde er sich weiterer, über die bereits begangenen und andauernden Benutzungshandlungen hinausgehenden rechtswidriger Eingriffe in die eigentumsähnlich geschützten Rechtspositionen der Patentinhaber enthalten.
Ein Patentbenutzer, der einen Antrag auf Erlass einer ASI stellt oder dies androht, könne nach dieser Entscheidung des LG München I in der Regel nicht als hinreichend lizenzwillig (s.o.) angesehen werden. Mithin könne von dem Patentbenutzer auch gefordert werden, dass er nach Erhalt des Verletzungshinweises nicht nur seine qualifizierte Lizenzbereitschaft erklärt, sondern auch, dass er keine ASI beantragen wird.
Die Rechtsprechung und Rechtsschöpfung im Bereich der ASI und der AASI usw. dürfte sich vermutlich in den kommenden Jahren in einer Eskalationsspirale weiter ausbreiten und wird möglicherweise zu einem regelmäßigen Begleiter in patentrechtlichen Auseinandersetzungen erwachsen. Besonders die Ableitung, wonach ein ausländisches Verfahren gleichzeitig die inländische FRAND-Verteidigung ausschließt, scheint unter Art. 102 AEUV nicht selbstverständlich zu sein, wenn es im Kern darum geht, dass durch das ausländische Verfahren die „richtigen“ FRAND-Bedingungen insbesondere die Höhe der Lizenzgebühr geklärt werden soll. Denn dies spricht ja für die „Lizenzwilligkeit“, aber eben nur zu anderen als den geforderten Preisen. Diese auf anderem Feld geführte Auseinandersetzung um die „richtige“ Lizenzgebühr besitzt einen augenfälligen Zusammenhang zu der Unwilligkeit deutscher Gerichte, sich auf den steinigen Weg der Berechnung der FRAND-Lizenzgebühr einzulassen und zu konzentrieren, wie dies in USA, UK und in der VR China ohne weiteres geschieht. Stattdessen sucht die deutsche Praxis vielfach einen anderen Ausweg und meidet auffällig den Kern der Auseinandersetzung – die Höhe der fairen Lizenzgebühr. Auch hier wäre eine europarechtliche Klärung der involvierten Fragen[7] überfällig und umso dringlicher, als in den Verfügungsverfahren der BGH nicht befasst werden wird.
[1] OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1996 – 3 VA 11/95 –, juris betreffend eine US-antisuit injunction
[2] Das LG München I räumt in einer Entscheidung 7 O 14276/20 (s.u.) ein, dass seine eigene Entscheidung möglicherweise wegen Verstoßes gegen den chinesischen ordre public dort nicht anerkennungsfähig und vollstreckungsfähig sei.
[3] LG München I, Urteil vom 02. Oktober 2019 – 21 O 9333/19 –, juris, ebenso LG München I, Urteil vom 30. August 2019, 21 O 9512/19
[4] OLG München, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 6 U 5042/19 –, GRUR 2020, 379
[5] LG München I, Urteil vom 25. Februar 2021 – 7 O 14276/20 –, juris
[6] So auch LG München I, Urteil vom 24. Juni 2021, 7 O 36/21
[7] Das LG München I hält Vorlageentscheidungen auch im Verfügungsverfahren für möglich, Beschluss vom 19.01.2021 – 21 O 16782/20