Die Kommission hat in SEP-Verletzungsverfahren beim OLG München (VoiceAge EVS ./. HMD Global) eine Amicus Curiae-Eingabe eingereicht und ihr Verständnis der EuGH-Entscheidung Huawei ./. ZTE verdeutlicht. Solche Eingaben, die ein am Verfahren nicht beteiligter Dritter bei Gericht in einem fremden Verfahren einreicht, sind ein im deutschen Recht wenig bekanntes Instrument. Es gibt aber durchaus Fälle, in denen z.B. das BKartA seine Auffassung bei Gericht vorträgt und in ein Verfahren eingreift (vgl. z.B. LG München I, U. v. 30.10.2020 – 21 O 11384/19; LG Mannheim, U. v. 18.08.2020 – 2 O 34/19 –, juris). Hier hat die Kommission als Kartellbehörde das Wort ergriffen.
Die Kommission vertritt ein in wesentlichen Punkten abweichendes Verständnis der Entscheidung des EuGH in dem Verfahren Huawei. Die Kommission führt aus, dass die Stufen der EuGH-Entscheidung sequentiell, und zwar (zeitlich) vor einer Unterlassungsklage durchzuführen seien. Eine Nachholung insbesondere der ersten beiden Stufen sei nach der Unterlassungsklage nicht mehr möglich. Die einzelnen Schritte müssten isoliert geprüft und bejaht werden. Der jeweils nächste Schritt könne nur geprüft werden, nachdem der vorherige Schritt durchgeführt worden sei. Späteres Verhalten könne dabei nicht zur Prüfung eines vorhergehenden Schrittes herangezogen werden. Auch eine spätere Nachholung (Heilung) sei nicht möglich, weil sonst das ganze Rahmenwerk obsolet werde. Der SEP-Inhaber erhalte sonst einen Anreiz, die Unterlassungsklage einzureichen und der Nutzer würde den Missbrauch rügen, ohne Verhandlungen geführt zu haben.
Die Verletzungsanzeige müsse vor der Unterlassungsklage (nicht aber vor etwaigen Auskunfts- und Schadensersatzklagen) zugestellt werden. Sie müsse die Verletzung rügen, die Patente mit Nummern bezeichnen und die Art und Weise der Verletzung angeben. Auch wenn nicht detaillierte rechtliche oder technische Ausführungen enthalten sein müssten, müssten für die Zwecke der Klarheit die Informationen enthalten sein, die dem Patentnutzer eine Bewertung seiner rechtlichen Position ermöglichen. Der Benutzer müsse dann seine Lizenzbereitschaft zu FRAND-Bedingungen bekunden, wobei er aber nicht sein Recht verliere, die Essentialität des Patents und seine Wirksamkeit anzugreifen. Er sei nicht lizenzunwillig, wenn er die Absicht bekunde, die betreffenden Patente als unwirksam oder nicht essenziell anzugreifen oder sich dieses Recht vorbehalte.
Da vom EuGH keine weiteren Anforderungen an die Erklärung der Lizenzwilligkeit vorgesehen seien, habe der SEP-Inhaber sodann ein konkretes schriftliches Angebot für eine Lizenz zu FRAND-Bedingungen vorzulegen; diese sei dann der Ausgangspunkt für Verhandlungen einer SEP-Lizenz zu FRAND-Bedingungen. Späteres Verhalten des Benutzers in den Lizenzverhandlungen könne für die Erklärung der Lizenzbereitschaft der zweiten Stufe nicht berücksichtigt werden, da dies nur ein formaler Schritt als Auftakt von Verhandlungen sei. Nach diesem formalen Schritt müsse der Patentinhaber in Schritt 3 sein Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen vorlegen und der Benutzer müsse dann in Schritt 4 ordnungsgemäß darauf reagieren, wenn er einen Unterlassungstitel vermeiden wolle. Dies gelte auch dann, wenn das Angebot des SEP-Inhabers nicht FRAND-Bedingungen entsprechen sollte. Auch der zweite Schritt könne nach einer Unterlassungsklage nicht mehr nachgeholt werden. Auch Verhandlungen könnten nach der Unterlassungsklage nicht mehr nachgeholt werden, da der EuGH eine Gelegenheit zur Verhandlung außerhalb einer solchen Drucksituation schaffen wolle. Die verschiedenen Stufen müssten in ihrer jeweiligen Reihenfolge geprüft werden und der jeweils nächste Schritt könne nur geprüft werden, wenn der vorangegangene ordnungsgemäß absolviert worden sei. Eine Vermischung sei nicht zulässig.
Abschließend „ermuntert“ die Kommission den Senat bei „fortbestehenden Unklarheiten“ das Verfahren dem EuGH vorzulegen.
Die Kommission sieht in der Bekundung der Lizenzwilligkeit (zweite Stufe) ein nur formales Element. Der EuGH habe keine weiteren Anforderungen an diese Bekundung gestellt. Die bisherige deutsche Rechtsprechung legt ihren Schwerpunkt aber gerade auf diese zweite Stufe der sog. Lizenz(un)willigkeit und es gibt inzwischen kaum mehr Entscheidungen, die sich mit einer der späteren Stufen befassen. In der deutschen Rechtsprechung wird die zentrale Abwägung der Umstände des Falles an dieser Stufe vorgenommen und in der Regel auch auf dieser Stufe entschieden. Nach der Sichtweise der Kommission entfällt diese Abwägung jedenfalls an dieser Stufe und die Gerichte müssten die inhaltliche Prüfung aufnehmen, ob das unterbreitete Angebot des Patentinhabers FRAND ist.
Ebenso folgt aus der Amicus-Curiae-Eingabe, dass dann auch das Gegenangebot auf seinen Inhalt geprüft werden muss. Wenn dieses ebenfalls FRAND ist und auch eine Sicherheitsleistung vorliegt, ist jedenfalls der Unterlassungsanspruch ausgeschlossen.
Sollte der EuGH die Auffassung der Kommission bestätigen, wäre die in der deutschen Rechtsprechung bisher stark fokussierte Diskussion der Lizenzwilligkeit vermutlich weitgehend obsolet und es müsste in den Vordergrund treten, ob das Lizenzangebot des SEP-Inhabers tatsächlich FRAND ist.
Dies hätte den großen Vorteil, dass die Gerichte sich dann auch inhaltlich mit dem jeweiligen Lizenzangebot und dem Gegenangebot beschäftigen könnten und müssten und die Verfahren nicht alleine auf die Verfahrensfragen im Verhandlungsprozess beschränkt blieben.