Wir trauern um unseren
langjährigen Kollegen und Freund
Jürgen Schneider
der nach kurzer schwerer Krankheit
völlig unerwartet von uns gegangen ist.
In tiefem Mitgefühl und mit größtem
Respekt nehmen wir Abschied von einem
wunderbaren Menschen.
In der Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ (Urt. v. 1.12.2022, I ZR 144/21, GRUR 2023, 255) stellt der BGH zwei wichtige Grundsätze auf: Zum einen kann eine durch einen erneuten Verstoß begründete erneute Wiederholungsgefahr auch durch eine weitere Unterlassungserklärung nach „Hamburger Brauch“ ausgeräumt werden, auch wenn darin keine Mindeststrafe versprochen wird. Zum anderen führt die Ablehnung einer (an sich ausreichenden) Unterlassungserklärung durch den Gläubiger dazu, dass die Wiederholungsgefahr ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Ablehnung wieder besteht, sodass eine gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungsanspruch (wieder) möglich ist.
1. Weitere Unterlassungserklärung nach „Hamburger Brauch“
Nach ständiger Rechtsprechung begründet ein erneuter Wettbewerbsverstoß trotz strafbewehrter Unterlassungserklärung erneut eine Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich nur durch eine weitere Unterlassungserklärung mit einer gegenüber der ersten erheblich höheren Strafbewehrung ausgeräumt werden kann (vgl. BGH GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon). Die Frage, ob und wie diese Rechtsprechung auf eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nach „Hamburger Brauch“ (bei der keine feste Vertragsstrafe versprochen, sondern die Höhe der Vertragsstrafe in das Ermessen des Gläubigers gestellt wird) übertragen werden kann, war bislang umstritten. Nach wohl überwiegender Auffassung der Instanzgerichte und der Literatur war eine solche Erklärung nur dann ausreichend, wenn darin eine Mindeststrafe („…Vertragsstrafe nicht unter…“) versprochen wurde.
Der BGH hat nunmehr klargestellt, dass eine (weitere) Unterlassungserklärung nach „Hamburger Brauch“ auch dann zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr führt, wenn darin keine Mindeststrafe versprochen wird, da die im Wiederholungsfall grundsätzlich erforderliche höhere Strafbewehrung einem Vertragsstrafeversprechen nach „Hamburger Brauch“ bereits innewohne und der Umstand der wiederholten Zuwiderhandlung bei einer gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Vertragsstrafe zu berücksichtigen sei.
2. Kein Wegfall der Wiederholungsgefahr bei Ablehnung der Unterlassungserklärung
Von großer praktischer Bedeutung sind die Ausführungen des BGH zum WIederaufleben der Wiederholungsgefahr, wenn eine vom Schuldner abgegebene Unterlassungserklärung vom Gläubiger nicht angenommen wird.
Verpflichtet sich der Schuldner unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe uneingeschränkt und ernsthaft zur Unterlassung weiterer Verletzungen, ist damit nach ständiger Rechtsprechung die Wiederholungsgefahr als materiell-rechtliche Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs ausgeräumt. Dafür genügt bereits der Zugang einer einseitig vom Schuldner abgegebenen Erklärung. Die Annahme der Erklärung ist für den Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht erforderlich (auch wenn erst die Annahme zu einem Unterlassungsvertrag führt und damit die Verpflichtung zur Zahlung einer Vertragsstrafe im Falle eines Verstoßes begründet). Daran ändert sich nach der Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ zunächst nichts.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH führte allerdings allein der Zugang der strafbewehrten Unterlassungserklärung auch dann zum – endgültigen – Wegfall der Wiederholungsgefahr, wenn der Gläubiger deren Annahme gegenüber dem Schuldner ablehnte (vgl. etwa BGH GRUR 1990, 1051, 1052 – Vertragsstrafe ohne Obergrenze). Diese Rechtsprechung hat der BGH nunmehr ausdrücklich aufgegeben.
Nach der Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ kann die durch die Verletzungshandlung begründete Vermutung der Wiederholungsgefahr durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung nur so lange widerlegt werden, wie die erforderliche Abschreckungswirkung durch eine effektive Sanktionsdrohung (weiterhin) gegeben ist. Lehnt der Gläubiger die Annahme der strafbewehrten Unterlassungserklärung ab, fehlt es ab dem Zugang der Ablehnung an einer verhaltenssteuernden Vertragsstrafendrohung, die den Schuldner von zukünftigen Verstößen abhalten kann. Die durch den Verstoß begründete und durch die einseitige Unterlassungserklärung zunächst ausgeräumte Wiederholungsgefahr lebt in diesem Fall wieder auf mit der Folge, dass der Gläubiger seinen Unterlassungsanspruch (wieder) gerichtlich geltend machen kann.
3. Praktische Folgen
Die geänderte Rechtsprechung zum Wiederaufleben der Wiederholungsgefahr im Fall der Ablehnung der Unterlassungserklärung hat erhebliche praktische Konsequenzen sowohl für Unterlassungsgläubiger als auch für Unterlassungsschuldner.
a. … für Unterlassungsgläubiger
Der Gläubiger hat nunmehr die Möglichkeit, auch eine ausreichende Unterlassungserklärung abzulehnen und seinen Unterlassungsanspruch stattdessen gerichtlich geltend zu machen. Das kann insbesondere dann interessant sein, wenn der Gläubiger eine Streitfrage gerichtlich klären lassen möchte, um sich ggf. auch Dritten gegenüber auf eine gerichtliche Entscheidung stützen zu können. Sinnvoll kann die Ablehnung einer (ausreichenden) Unterlassungserklärung auch dann sein, wenn der Unterlassungsschuldner nur eine (im Verhältnis zu der Forderung des Gläubigers) eingeschränkte Erklärung abgibt. Der Gläubiger kann dann versuchen, vor Gericht einen weiteren Unterlassungstenor durchzusetzen (bspw. einen Tenor ohne Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform), ohne seinen Unterlassungsantrag wie bisher einschränken zu müssen, um der Unterlassungserklärung und der dadurch zumindest teilweise ausgeräumten Wiederholungsgefahr durch eine Beschränkung des Antrags Rechnung tragen zu müssen.
Zu beachten ist, dass die Ablehnung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung nur dann in Betracht kommt, wenn der Schuldner die vom Gläubiger geforderte Erklärung modifiziert. Gibt der Schuldner exakt die Erklärung ab, die der Gläubiger mit der Abmahnung gefordert hat, liegt darin die Annahme des Angebots des Gläubigers. Der Unterlassungsvertrag kommt dann bereits mit dem Zugang der Erklärung beim Gläubiger zustande (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 170). Nur bei Abgabe einer modifizierten Unterlassungserklärung liegt in dieser Erklärung ein (Gegen-) Angebot, das der Annahme durch den Gläubiger bedarf. Ein Unterlassungsgläubiger, der eine gerichtliche Klärung herbeiführen möchte, sollte daher erwägen, der Abmahnung überhaupt keinen Entwurf einer Unterlassungserklärung beizufügen (der Gläubiger ist nicht verpflichtet, der Abmahnung einen solchen Entwurf beizufügen, auch wenn das üblich ist; vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm/Feddersen UWG § 13 Rn. 18). Dann liegt in einer vom Schuldner abgegebenen Unterlassungserklärung stets ein Angebot auf Abschluss eines Unterlassungsvertrags, das der Gläubiger ablehnen kann.
Zu beachten ist ferner, das der Gläubiger im Falle der Ablehnung einer (ausreichenden) Unterlassungserklärung und der gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs das Kostenrisiko trägt, da der BGH ausdrücklich klarstellt, dass der Schuldner, der außergerichtlich eine ausreichende strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, den gleichwohl gerichtlich geltend gemachten Unterlassungsanspruch sofort anerkennen kann. In diesem Fall muss der Gläubiger die Kosten des gerichtlichen Verfahrens tragen (§ 93 ZPO).
Ein weiterer Nachteil für den Gläubiger, der eine Unterlassungserklärung ablehnt und seinen Unterlassungsanspruch gerichtlich durchsetzt, liegt darin, dass er im Falle zukünftiger Verstöße keine Vertragsstrafe erhält, sondern der Schuldner (nur) ein Ordnungsgeld an die Staatskasse zahlen muss.
Der Gläubiger muss sich also im Einzelfall genau überlegen, ob die Ablehnung einer (ausreichenden) Unterlassungserklärung sinnvoll ist.
b. … für Unterlassungsschuldner
Der Unterlassungsschuldner kann sich zukünftig nicht mehr darauf verlassen, dass mit der Abgabe einer ausreichenden strafbewehrten Unterlassungserklärung „Ruhe herrscht“ (es sei denn, er gibt exakt die vom Gläubiger mit der Abmahnung geforderte Erklärung ab). Er muss vielmehr damit rechnen, dass der Gläubiger die Erklärung ablehnt und es doch noch zu einem gerichtlichen Verfahren kommt. Der daraus folgenden Unsicherheit kann der Schuldner dadurch entgegenzuwirken versuchen, dass er den Gläubiger auffordert, sich zu der Unterlassungserklärung ausdrücklich zu positionieren, diese also entweder anzunehmen oder abzulehnen (vgl. Walesch, GRUR-Prax 2023, 90, 93). Der Gläubiger ist allerdings nicht verpflichtet, sich entsprechend zu äußern. Erfolgt die Aufforderung mit Fristsetzung, läuft der Unterlassungsschuldner zudem Gefahr, dass diese Fristsetzung als Befristung der Bindungswirkung der Unterlassungserklärung interpretiert wird mit der Folge, dass auch dann, wenn der Gläubiger sich nicht äußert, die Wiederholungsgefahr mit Fristablauf wiederauflebt.
Lehnt der Gläubiger die Unterlassungserklärung ausdrücklich ab, muss der Schuldner prüfen, ob eine sog. Drittunterwerfung, also die Abgabe einer Unterlassungserklärung gegenüber einem Dritten in Betracht kommt (diese Option besteht zumindest bei Wettbewerbsverstößen). Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt darin, dass der Unterlassungsschuldner es bei einer Drittunterwerfung in der Hand hat, die Unterlassungserklärung selbst zu formulieren und ggf. gegenüber der vom Gläubiger geforderten Erklärung einzuschränken. Der Schuldner kann es aber auch auf ein gerichtliches Verfahren ankommen lassen und eine Kostentragungspflicht durch Abgabe eines sofortigen Anerkenntnisses abwenden. In diesem Fall muss er aber die Formulierung des Unterlassungsantrags des Gläubigers (bzw. den Tenor des Gerichts) akzeptieren.
4. Ausblick
Mit der Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ hat der BGH die seit Jahren umstrittene Frage, ob eine durch einen erneuten Verstoß begründete erneute Wiederholungsgefahr auch durch eine weitere Unterlassungserklärung nach Hamburger Brauch ausgeräumt werden, geklärt. Das führt zu mehr Rechtssicherheit sowohl für Unterlassungsgläubiger als auch für Unterlassungsschuldner. Offen bleibt, ob im Falle eines identischen Verstoßes eine erneute inhaltsgleiche Unterlassungserklärung nach „Hamburger Brauch“ ausreicht, um die erneute Wiederholungsgefahr auszuräumen. Das OLG Köln (ZUM 2015, 404 – Parfümfotos bei eBay) hat in einer solchen Konstellation die Ernsthaftigkeit der (wiederholten) inhaltsgleichen Unterwerfungserklärung angezweifelt, da die Erklärung dem Kläger keine über die ursprüngliche Erklärung hinausgehenden Rechte einräume und dementsprechend für die Beklagte kein über die ursprüngliche Erklärung hinausgehendes Sanktionsrisiko darstelle. Nach der Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ wird man eine solche inhaltsgleiche Erklärung aber wohl zukünftig akzeptieren müssen.
Die geänderte Rechtsprechung zum Wiederaufleben der Wiederholungsgefahr bei Ablehnung einer Unterlassungserklärung kann zu Unsicherheiten insbesondere für Unterlassungsschuldner führen, gibt aber auf der anderen Seite Unterlassungsgläubigern zusätzliche Optionen, insbesondere die Möglichkeit, die Sache trotz Abgabe einer Unterlassungserklärung einer gerichtlichen Klärung zuzuführen. Ob dadurch die Bedeutung der strafbewehrten Unterlassungserklärung als Instrument der außergerichtlichen Streitbeilegung abnimmt (so Walesch, GRUR-Prax 2023, 90, 92), ist allerdings zweifelhaft. In aller Regel dürfte dem Unterlassungsgläubiger ebenfalls an einer schnellen außergerichtlichen Beilegung des Streits (und der Aussicht auf eine Vertragsstrafe im Falle eines Verstoßes) gelegen sein. Zudem wird der Gläubiger in der Regel das Kostenrisiko im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses vermeiden wollen. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass das Instrument der strafbewehrte Unterlassungserklärung durch die Entscheidung „Wegfall der Wiederholungsgefahr III“ an Bedeutung verlieren wird.
Wir trauern um unseren
langjährigen Kollegen und Freund
Jürgen Schneider
der nach kurzer schwerer Krankheit
völlig unerwartet von uns gegangen ist.
In tiefem Mitgefühl und mit größtem
Respekt nehmen wir Abschied von einem
wunderbaren Menschen.