Der EuGH entscheidet über die Zuständigkeit eines nationalen Verletzungsgerichts bei der Klage aus einem ausländischen Patent, wenn die Nichtigkeit des ausländischen Patents geltend gemacht wird.
Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 (sog. Brüssel Ia VO) sieht in Artikel 4 (1) vor, dass die nationalen Gerichte immer zuständig sind für Personen, die ihren Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat haben. Damit kann also ein Verletzungsverfahren aus einem ausländischen Schutzrecht (Marke, Urheberrecht, Design, Patent) immer auch am Sitz des Verletzers erhoben werden.
Allerdings sieht Art. 24 (4) vor, dass bei gewerblichen Schutzrechten, die in einem bestimmten Staat eingetragen sind, ausschließlich dessen Gerichte zuständig sind, über den Rechtsbestand des Schutzrechts zu entscheiden. Die nationalen Gerichtsbarkeiten entscheiden also alleine über den Rechtsbestand dieser Schutzrechte.
Artikel 24
Ohne Rücksicht auf den Wohnsitz der Parteien sind folgende Gerichte eines Mitgliedstaats ausschließlich zuständig:
Unbeschadet der Zuständigkeit des Europäischen Patentamts nach dem am 5. Oktober 1973 in München unterzeichneten Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente sind die Gerichte eines jeden Mitgliedstaats für alle Verfahren ausschließlich zuständig, welche die Erteilung oder die Gültigkeit eines europäischen Patents zum Gegenstand haben, das für diesen Mitgliedstaat erteilt wurde;
Damit können Art. 4 (1) und Art. 24 (4) in Konflikt geraten, wenn der Verletzer aus einem ausländischen Schutzrecht an seinem Wohnsitz verklagt wird und Verletzer dann die Nichtigkeit des Schutzrechts einwendet.
Dies führte immer schon zu der Frage, was mit einer Klage zu geschehen hat, die in dieser Weise erhoben worden ist, sobald der Verletzer die Einrede der Nichtigkeit erhebt. Die bisherige Rechtsprechung ging dahin, dass dann das nationale Verletzungsverfahren nicht fortgeführt werden kann. Dies war eine missliche Situation, weil dann die am Wohnsitz des Verletzers erhobene Verletzungsklage (bei einem ausländischen Schutzrecht) unzulässig wurde und damit eine Vielzahl von nationalen Verletzungsverfahren notwendig wurde.
In dem konkreten Fall hatte die Patentinhaberin aus einer Reihe von nationalen Teilen eines EP (einschließlich des schwedischen Teils) gegen die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz geklagt. Die Beklagte hatte die Nichtigkeit aller, auch der ausländischen Patente eingewendet und dabei auch die Unzulässigkeit der Klage wegen der Klagen aus den ausländischen Patenten gerügt, weil sie die Nichtigkeit der ausländischen Patente eingewandt hatte. Nach der bisherigen Rechtsprechung hätte das schwedische Gericht nicht über die Klage aus den ausländischen Patenten entscheiden dürfen, sobald die Einrede der Nichtigkeit erhoben wurde.
Das schwedische Verletzungsgericht erster Instanz erklärte sich deshalb auch für unzuständig, über die ausländischen Patente zu entscheiden. Dagegen legte die Klägerin Berufung zum schwedischen Hofrat (Svea hovrätt, = OLG Stockholm) ein. Dieser legte nun dem EuGH die Frage vor, ob und in welcher Weise er zur Entscheidung über die Verletzungsklage aus den ausländischen EU-Patenten berufen ist.
Der EuGH hat in der Entscheidung der bisherigen Rechtsprechung ein Ende gesetzt und klargestellt, dass die nationalen Gerichte am Sitz des Beklagten auch über die Nichtigkeitseinrede gegen ausländische Schutzrechte entscheiden können. Sie dürfen zwar nicht (isoliert) über den Rechtsbestand, d. h. über die Vernichtung/Löschung der Schutzrechte entscheiden. Sie können allerdings im Rahmen des Verletzungsprozesses über die Nichtigkeitseinrede eine Entscheidung treffen.
ist dahin auszulegen, dass
ein Gericht des Wohnsitzmitgliedstaats des Beklagten, das nach Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung mit einer Klage wegen Verletzung eines in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Patents befasst ist, zuständig bleibt, über diese Klage zu entscheiden, wenn der Beklagte im Rahmen des zugehörigen Verfahrens die Gültigkeit dieses Patents im Wege der Einrede anficht, wohingegen die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Gültigkeit ausschließlich den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats zukommt.
ist dahin auszulegen, dass
er keine Anwendung auf ein Gericht eines Drittstaats findet und einem solchen Gericht folglich keinerlei Zuständigkeit – weder eine ausschließliche noch eine sonstige – für die Beurteilung der Gültigkeit eines von diesem Staat erteilten oder validierten Patents zuweist. Ist ein Gericht eines Mitgliedstaats auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung mit einem Verfahren wegen Verletzung eines in einem Drittstaat erteilten oder validierten Patents befasst, in dessen Rahmen die Frage der Gültigkeit des Patents im Wege der Einrede aufgeworfen wird, ist dieses Gericht nach diesem Art. 4 Abs. 1 zuständig, über die Einrede zu entscheiden, da seine Entscheidung hierzu weder Auswirkungen auf das Bestehen oder den Inhalt des Patents in diesem Drittstaat haben noch zur Änderung des nationalen Registers des Drittstaats führen kann.
Das nationale Gericht, das die Verletzungsfrage zu entscheiden hat, bleibt also zur Entscheidung über das Verletzungsverfahren zuständig, auch wenn die Einrede der Nichtigkeit erhoben wird. Es kann das Verletzungsverfahren (beispielsweise auch hinsichtlich einzelner nationaler Patente) aussetzen, „wenn es der Auffassung ist, dass eine vernünftige und nicht zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, dass das Patent vom zuständigen Gericht dieses anderen Mitgliedstaats für nichtig erklärt wird“, „was es ihm bei seiner Entscheidung über die Patentverletzungsklage ermöglicht, eine Entscheidung des mit der Klage auf Nichtigerklärung befassten Gerichts zu berücksichtigen“.
Das angegangene nationale Gericht, das über die Verletzung entscheidet besitzt allerdings keine Zuständigkeit, über den Rechtsbestand der betreffenden ausländischen Gerichte zu entscheiden. Hierfür bleiben alleine die Gerichte des Erteilungsstaats zuständig.
Das Verletzungsgericht kann also sein Verletzungsverfahren aussetzen oder aber wenn es die Angriffe auf das Schutzrecht nicht hinreichend für aussichtsreich hält, verwerfen und entsprechend über die Verletzungsklage ohne eine solche (im Erteilungsstart durchzuführende) Entscheidung über den Rechtsbestand entscheiden.
Damit können die Verletzungsgerichte auch über Verletzungen in ausländischen EU-Staaten der entscheiden, selbst wenn die Nichtigkeitseinrede erhoben wird.
Eine weitere Frage, die der EuGH zumindest am Rande angesprochen hat, ist die Frage des Aussetzungsstandards. Unter der Rn. 51 finden sich folgende Ausführungen des EuGH:
Wenn es das mit der Patentverletzungsklage befasste Gericht für gerechtfertigt hält, insbesondere wenn es der Auffassung ist, dass eine vernünftige und nicht zu vernachlässigende Möglichkeit besteht, dass das Patent vom zuständigen Gericht dieses anderen Mitgliedstaats für nichtig erklärt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Juli 2012, Solvay, C‑616/10, EU:C:2012:445, Rn. 49), kann es das Verfahren gegebenenfalls aussetzen, was es ihm bei seiner Entscheidung über die Patentverletzungsklage ermöglicht, eine Entscheidung des mit der Klage auf Nichtigerklärung befassten Gerichts zu berücksichtigen.
Zur Aussetzung genügt also, dass eine „vernünftige und nicht zu vernachlässigende Möglichkeit“ Nichtigerklärung besteht. Da die Rechtsnormen, die zur Nichtigkeit im EPÜ führen, in allen Mitgliedstaaten (der Validierungsstaaten) die gleichen sind (Art. 138 EPÜ), betrifft diese Äußerung mittelbar auch die Frage, wie ein Verletzungsgericht bei der Nichtigkeitseinrede des nationalen Europäischen Patents mit dem Nichtigkeitseinwand umzugehen hat.
In Deutschland sind die Verletzungsgerichte ebenfalls nicht zu Entscheidung wie Nichtigkeit der europäischen Patente berufen. Sie müssen ebenfalls über die Frage entscheiden, ob sie im Verletzungsverfahren bei einem Nichtigkeitsangriff auf das betreffende Schutzrecht aussetzen oder fortfahren können.
Zwar betrifft die Verstimmung des EuGH nur Sachverhalte im Geltungsbereich der Brüssel Ia VO, jedoch lässt dies auch einen Blick auf den nationalen Aussetzungsstandard zu. In Deutschland setzen die Gerichte nur dann aus, wenn der Nichtigkeitsangriff eine (je nach Formulierung) deutlich überwiegende oder ganz überwiegende Erfolgsaussicht hat. Die Frage ist daher durchaus, ob nicht EuGH auch mittelbar etwas zum nationalen Aussetzungsstandard in Verletzungsstreitigkeiten über gewerbliche Schutzrechte gesagt hat.