LG München I (21. Zivilkammer), Beschluss vom 19.01.2021 – 21 O 16782/20
Seit längerer Zeit galt in Patentsachen jedenfalls in den Gerichtsstandorten Düsseldorf und wohl auch Mannheim der Grundsatz der Entscheidung des OLG Düsseldorf – Harnkatheterset, wonach eine einstweilige Verfügung aus einem erteilten Patent in der Regel (mit einer Reihe von Ausnahmen) nur dann zu gewähren ist, wenn das Verletzungsgericht sich der Verletzung des Patent sicher ist. Die Gewissheit der Patentverletzung beinhaltet auch die summarische Frage und Interessenabwägung, ob der Rechtsbestand des Patents hinreichend gewährleistet ist. Dies wurde dann bejaht, wenn das Patent ein Einspruchsverfahren oder ein Nichtigkeitsverfahren überstanden hatte.
Diese Rechtsprechung ist die Konsequenz des Umstandes, dass eine einstweilige Verfügung aus Patentsachen ohne Sicherheitsleistung und damit ohne Schutz des Beklagten sofort vollstreckbar ist (mit allen Konsequenzen für eine Betriebs- und Produktionseinstellung) und doch eine relativ erhebliche Anzahl von Schutzrechten später in Rechtsbestandsverfahren entweder vollständig oder teilweise vernichtet oder beschränkt wird.
Der Gerichtsstandort München hatte sich dieser Rechtsprechung bislang so nicht angeschlossen und auch aus Patenten ohne eine solche Überprüfung einstweilige Verfügungen gewährt.
Diese Rechtsprechung in München wurde Ende 2019 durch eine Entscheidung des OLG München, Urteil v. 12.12.2019 – 6 U 4009/19 aufgegeben, deren Leitsatz unter anderem lautet:
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung, gestützt auf ein Patent oder ein Gebrauchsmuster kommt nur in Betracht, wenn sowohl die Frage der Patentverletzung als auch der Rechtsbeständigkeit des Verfügungsschutzrechts eindeutig zugunsten des Antragstellers zu bejahen ist.
Damit hatte sich das OLG München der Rechtsprechung aus Düsseldorf angeschlossen und die Interessenabwägung im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung auch auf den Rechtsbestand erstreckt und deswegen für den Regelfall eine vorherige Überprüfung des betreffenden Patents im Rechtsbestandsverfahren gefordert.
Dieser Rechtsprechung widersetzt sich nun das Landgericht, indem es in einem Verfügungsverfahren dem EuGH folgende Frage zur Beantwortung vorlegt:
Ist es mit Artikel 9 Abs. 1 der RL 2004/48/EG vereinbar, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes letztinstanzlich zuständige Oberlandesgerichte den Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigern, wenn das Streitpatent kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat?
Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass es nach der Durchsetzungsrichtlinie sichergestellt sein solle, einem Verletzer auch durch einstweilige Maßnahmen die Patentverletzung zu untersagen. Nirgendwo sei festgeschrieben, dass das betreffende Patent vorher einer Rechtsbestandsüberprüfung nach dessen Erteilung unterworfen worden sein müsse. Die von verschiedenen Oberlandesgerichten gewährten Ausnahmen
Der EuGH ist also nun aufgerufen, sich mit der Rechtsprechung der deutschen Gerichte zur Interessenabwägung im Rahmen der Dringlichkeitsprüfung in Patentsachen zu befassen.
Diese Vorlageentscheidung des Landgerichts München I ist ohne Zweifel ein Paukenschlag, der das Zeug hat, die Patentrechtsprechung in Deutschland nachhaltig zu beeinflussen. Die Vorlage könnte aber auch ein Schlag ins Wasser werden, wenn nämlich der EuGH zu der Auffassung gelangen sollte, dass nicht eine Frage über die Auslegung des Unionsrechts dem EuGH zur Überprüfung vorgelegt wird, sondern lediglich eine bestimmte Fach-Rechtsprechung der Instanzgerichte darüber, was unter „Dringlichkeit“ und der darin erforderlichen Interessenabwägung im zivilprozessualen Verfügungsverfahren zu verstehen ist. Möglicherweise würde sich der EuGH dann nicht dazu berufen fühlen, als Super-Revisionsinstanz für das OLG München tätig zu werden und die Einzelkriterien für die Interessenabwägung in patentrechtlichen Eilverfahren selbst zu definieren.