Lokalkammer München, UPC_CFI_755/2024, Anordnung vom 09.12.2024
UPC_CFI_791/2024, Verfahrensanordnung vom 11.12.2024
Das Einheitliche Patentgericht (EPG), Lokalkammer München, hat innerhalb kurzer Zeit zwei Anti-Anti-Suit-Injunctions (AASI) im Wege einstweiliger Verfügungen nach Regel 206 ff. der Verfahrensordnung (VerfO) gegen Maßnahmen US-amerikanischer Gerichte erlassen.
Sachverhalt:
Die Antragsteller waren Inhaber standardessentieller Patente, während die Beklagten als Nutzer oder Hersteller Produkte vertrieben, die dem jeweiligen Standard unterlagen. Eine Patentverletzungsklage war bereits vor der Lokalkammer München anhängig. Daraufhin beantragten die Beklagten vor einem US-amerikanischen District Court eine Verfügung, mit der den Patentinhabern die Erhebung/Fortführung der Verletzungsklage oder oder Vollstreckung eines Urteils untersagt werden sollte.
Entscheidung:
Das Gericht untersagte den Beklagten, die Verfahren auf Erlass einer Anti-Enforcement Injunction (AEI) oder Anti-Suit Injunction (ASI) in den USA weiterzuverfolgen oder vergleichbare Maßnahmen zu beantragen, die die Patentinhaber an der Durchsetzung ihrer Rechte vor dem EPG hindern könnten.
Rechtliche Begründung:
Das Gericht begründete seine Zuständigkeit zum Erlass einer AASI mit Artikel 32 Absatz 1 Buchstaben a und c des EPGÜ, der die Zuständigkeit für Patentverletzungsklagen sowie einstweilige Verfügungen regelt.
Es stellte klar, dass nicht nur die Benutzung eines Patents eine Verletzung darstelle, sondern auch jede Einschränkung des Eigentumsrechts des Patentinhabers, beispielsweise durch eine Untersagung der gerichtlichen Durchsetzung des Patents.
Die beantragten Prozess- und Vollstreckungsverbote vor US-Gerichten verstoßen nach Ansicht des Gerichts gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 47 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta) und stellen einen unerlaubten Eingriff in das eigentumsähnliche Recht des Patentinhabers (Artikel 17 Absatz 2 der EU-Grundrechtecharta) dar. Daneben sei auch deutsches Recht gemäß Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe e des EPGÜ und damit auch Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes anzuwenden.
Dringlichkeit:
Die Kammer bejahte die Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, da ein Abwarten bis zum Abschluss der US-Verfahren unzumutbar sei. Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit durch unangemessenes Zuwarten (Regel 211.4 VerfO) wurde verneint, da zwischen Kenntnisnahme und Antragstellung lediglich 20 bzw. 29 Tage lagen.
Verfahren ohne Anhörung:
Die Entscheidungen wurden ohne vorherige Anhörung der Antragsgegner getroffen. Dies wurde damit begründet, dass eine Anhörung zu Gegenmaßnahmen führen könnte, einschließlich eines Antrags auf eine Temporary Restraining Order in den USA, wodurch das Verfahren dort weiter beschleunigt würde. Eine Anhörung hätte den beim EPG beantragten Schutz durch eine AASI verkürzen oder sogar zunichtemachen können.
Sicherheitsleistung:
Den Antragstellerinnen wurde nach Regel 211.5 VerfO auferlegt, eine Sicherheitsleistung durch Hinterlegung oder Bankbürgschaft in Höhe des Streitwerts des Verletzungsverfahrens zu erbringen.
Einordnung:
Mit diesen Entscheidungen knüpft das EPG an die bereits etablierte Rechtsprechung des Landgerichts und Oberlandesgerichts München an und entwickelt diese weiter.
Die Rechtsprechung ist zur Sicherung des Rechtsstaats notwendig, wenngleich inhaltlich problematisch. Sowohl die Abwehrmaßnahmen europäischer Gerichte als auch die untersagten Eingriffe durch US-Gerichte erscheinen übergriffig. Der Grundfehler liegt jedoch in der Existenz der ASI/AEI durch US-amerikanische Gerichte, die völkerrechtswidrig sind (vgl. EuGH, Urteil vom 07.09.2023, C-590/23, Charles Taylor ./. Starlight Shipping, sowie OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.06.2024, NJOZ 2024, 949).